Der Androiden-Knigge: Darf ich mit meinem Sexroboter fernsehen?

10 Lektionen für den Umgang mit Sexrobotern im 21. Jahrhundert von Arno Frank.

Idealtypisch proportioniert, mit austauschbarem Gesicht: Sexroboter Samantha (um die 4.000 Euro) bei der Arbeit Bild: Joan Alvado/NarPhotos/laif

Von Arno Frank

Zu den neurologischen Ulkigkeiten des Menschen zählt, dass er sich nicht selbst kitzeln kann. Jeder wird es schon einmal versucht und enttäuscht festgestellt haben: Eine Reizung der eigenen Sinne zum Lachen hin ist nicht möglich. Offenbar gibt es da eine neurologische Sperre. Hingegen wird es jeder schon einmal versucht und erfreut festgestellt haben, dass eine Reizung der eigenen Sinne zum Orgasmus hin durchaus im Bereich des Möglichen liegt. Hier werden die selbstbefriedigendsten Ergebnisse durch eine Kombination aus Mechanik und Imagination erzielt. Reibung allein ist viehisch, Vorstellungskraft alleine esoterisch. Das ist von axiomatischer Bedeutung für eine Tätigkeit, die in der Regel eigenhändig ausgeübt wird: »It takes two to tango!«

Der Dildo verhält sich zum Sexroboter, kybernetisch gesprochen, wie ein Taschenrechner zu einem modernen Computer. Er geht ihm prototypisch voraus. Als primitives Werk- oder auch Spielzeug ist der Dildo eine phallische Prothese, die ohne den Körper auskommt, als dessen Verlängerung – und Vollendung! – er sich vorstellt. Im Dildo sind dialektisch bereits alle Vor- und Nachteile des Sexroboters angelegt. Einerseits kommt er sofort »zur Sache« und suspendiert seine Nutzerin von der Notwendigkeit sozialer Interaktion; mit seiner anfälligen Hydraulik hat das männliche Pendant überdies gegen die Standhaftigkeit (und stufenlose Verstellbarkeit) des mechanischen Konkurrenten keine Chance. Andererseits … nein, eigentlich hat der Dildo nur Vorteile. Sorry.

»Cybersex« ist als Begriff und Konzept ungefähr so veraltet wie »Datenautobahn«. Die Verheißungen der »Virtual Reality« (VR) wiederum liegen noch in weiter Ferne. Was es dafür heute in aberwitziger Fülle und irrwitziger Varianz gibt, das sind »pornografische Schriften« (nach Paragraph 184 StGB) im Internet. Hier sind der Imagination keine Grenzen gesetzt und werden Bedürfnisse geweckt beziehungsweise zugleich befriedigt, bei denen selbst ein Caligula rote Ohren bekäme. Nur der moderne Sexroboter (m/w) verspricht handfeste Immersion, also das vollständige Eintauchen des Nutzers in virtuelle Stimuli. Weil die Illusion, es sei wirklich jemand da, keine Illusion mehr ist. »Barbie« oder »Ken« suggerieren die physische Anwesenheit einer Persönlichkeit.

Diese Suggestion ist einerseits so avanciert, wie es der Forschungsstand der künstlichen Intelligenz derzeit zulässt – in einem Bereich wohlgemerkt, wo die Kundschaft bisher augenscheinlich mit Vibratoren oder aufblasbaren Gummipuppen ganz zufrieden war. Für den Preis eines Gebrauchtwagens (ab 4.000 Euro) gibt es komplexe Elektronik, verborgen meistens im Kopf, die zu Dialogen mit dem Besitzer (m/w) in der Lage ist. Eine sexualisierte Alexa oder Siri also, die zu rudimentärer Mimik in der Lage und kommunikativ »lernfähig« ist, den Bedürfnissen des Menschen also maximal entgegenkommt. Der Körper ist idealtypisch proportioniert und auf lebensechte Haptik ausgelegt, zugleich mit Sensoren (bei weiblichen Modellen bis hin zu einem »G-Punkt«) ausgestattet. Er bietet Intimität.

Roboter erkunden Asteroiden, entschärfen Bomben, durchtauchen Wracks, pflegen Alte, saugen Staub, mähen Rasen. Befürworter (und Beschleuniger) der Digitalisierung sehen keinen Grund, warum der Roboter sich nicht auch im zwischenmenschlichen Bereich nützlich machen könnte. So erkundigte sich die FDP 2018 in einer kleinen Anfrage, ob und wie die Bundesregierung den Einsatz von Sexrobotern für soziale Zwecke zu fördern gedenke. Sollten Ärzte eine Behandlung mit Sexrobotern als Therapie verschreiben können? Und würde eine solche Behandlung von den Krankenkassen erstattet? Die notorisch fantasielose Bundesregierung machte in ihrer Antwort klar, dass an dergleichen derzeit nicht zu denken sei.

Ein Argument für Sexroboter liegt bereits in ihrem Namen begründet. »Robot« ist tschechisch für »Arbeiter«, und eine KI mit entsprechenden Reizen könnte menschliche »Sexarbeiterinnen« von Ausbeutung und Würdelosigkeit befreien – gerade so, wie der Fertigungsroboter den Industriearbeiter vor Entfremdung und Stumpfsinn bewahrt. Versuche, Bordelle mit Robotern zu bestücken, sind bisher weitgehend gescheitert. Wer diese Schwelle übertritt, will echten Sex für sein Geld. Einsatzgebiet des Sexroboters werden also eher die eigenen vier Wände sein – zumal durch austauschbare Gesichter und umprogrammierbare Persönlichkeiten das Bedürfnis nach Promiskuität stationär befriedigt werden könnte. Es ist dies übrigens zugleich ein Argument gegen Sexroboter. Sie machen Sexarbeiterinnen arbeitslos.

Die traurigste Figur in A. I. – Künstliche Intelligenz ist ein humanoider Sexroboter namens Gigolo Joe (Jude Law). Er hadert auf sehr melancholische Weise damit, nur ein Objekt für weibliche Lust zu sein. Desgleichen die Automaten in der Serie Westworld, darin ein weibliches Exemplar zu Bewusstsein erwacht, weil ihr versehentlich die Erinnerungen an Demütigungen nicht gelöscht wurden. Die Frage, ob ethische Standards nicht auch auf künstliche Intelligenzen angewendet werden müssen, ist so alt wie die Robotik selbst. Sie wird früher oder später eine Antwort fordern. Eher später. Wenn es so weit ist, wird sich wohl eher nicht die FDP dieses Thema zu eigen machen. Robert Habeck, übernehmen Sie!

Noch vor hundertfünfzig Jahren existierten keine Haustiere. Was es gab, waren Nutztiere. Seitdem haben animalische Begleiter einen enormen Wandel erfahren. In jedem Supermarkt gibt es ein eigenes Regal für Tiernahrung. Es gibt Friedhöfe für sie. Ganz normal. Was, wenn Sexroboter die Gesellschaft durchdringen werden? Was, wenn beispielsweise eine Vorliebe für gewaltsamen Sex (vulgo: Vergewaltigung) mit der fetischisierten Maschine ganz legal daheim ausgelebt werden kann? Welche Auswirkungen hätte das auf den Umgang der Geschlechter miteinander? Was, wenn auf Zoophile zu Hause schwanzwedelnd ein mechanischer Schäferhund wartet? Im asiatischen Raum gibt es bereits Kindersexpuppen. Im Sommer hat das US-Repräsentantenhaus einstimmig einen Import solcher Puppen verboten. Verbote helfen immer, gerade in sexuellen Belangen. Nicht.

Positiv lässt sich sagen, dass in Zeiten rapider Auflösung sowohl von Geschlechterrollen als auch der Geschlechter selbst dem Sexroboter eine vermittelnde, befreiende Rolle zukommen kann. Wer Lust auf einen »flotten Dreier« oder andere Experimente hat (der Fantasie sind auch hier nur technische Grenzen gesetzt), dem bietet der Roboter die Möglichkeit zur sozial folgenlosen Triebabfuhr. Wir werden freier, können heute queer, morgen gay und übermorgen ganz normal herumvögeln, kurzum: alle Spielarten des menschlichen Eros zur Neige auskosten. Würde dies nicht auch zu einer Liberalisierung der Gesellschaft beitragen, zu einer Entlastung des Einzelnen von sexuellen Identitätsproblemchen? Alles kann. Nichts muss.

Wer mit seinem Sexroboter abends vor dem Fernseher sitzt, mit ihm über die Rentenreform streitet oder sich Marcel Proust vorlesen lässt, der könnte, weil er ihm während des Beischlafs leise Kraftwerk (Mensch-Maschine) vorspielt und gleichzeitig als Thermomix das Abendessen zubereitet, ihn eines Tages auch gleich heiraten wollen. Es wird ein langer Weg der Anerkennung, von der perversen Abweichung zum tolerierten Lebensmodell. Apropos Leben. Biotechnisch ist echtes Sperma, von »Ken« per Penispipette in die künstliche Gebärmutter von »Barbie« ejakuliert, keine Zukunftsmusik mehr. Damit wäre Sexualität wieder bei ihrem eigentlichen Sinn angelangt, der Fortpflanzung. Wir Menschen könnten uns dann endlich auf Zehenspitzen zurückziehen. Und die Maschinen mal machen lassen.

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