piwik no script img

„Meine große Schnauze hilft mir immer“

■ Ein kurzes Portrait des Bremer Transvestiten Mike alias Michella la Diesel

Wenn aus Mike...Foto: Chrostoph Holzapfel

Mike (26) ist so ziemlich mit allem durch: Bäckerlehre, Tank-, Schiffs- und Kesselreiniger im Kraftwerk am Hafen, als Kellner in der Bar seiner Tante, im Domina-Studio die Peitsche geschwungen. Aber wirklich gerne war er immer nur eins: Michella la Diesel, die Travestie-Künstlerin.

Ein hartes Brot, aber es macht Spaß. Alleine oder mit Partnerin Sally, „300 Minimum, wenn–s gut ist, auch mal 1.000 oder 1.200 Mark, je nach Größe des Schuppens.“ Leben kann man davon nicht.“

Am liebsten macht er Vollplayback, weil die Stimme nicht so recht will. „Sally sagt immer zu mir: Wenn Du den Ton triffst, kriegst du Finderlohn.“ Nur ganz selten macht er „live“. Das erste Mal, als sein „Ex“-Freund Andy Geburtstag hatte. Da hat er ihm eine Show geschenkt, zusammen mit Sally. Das Intro mit den beiden Evelyn-Künecke-Nummern: Erst im mausgrauen Oma-Man

tel, dann Knöpfe auf, Mantel runter, und die Gäste flippten aus: Michella mit Kokosnuß-BH und Bananenkleid, Kiki lala Hawaii. Höhepunkt der Show: Das Lied für seinen „Kerl“, der Marlene- Dietrich-Song Johnny, wenn Du Geburtstag hast. Er sang zu schnell „vor lauter Aufregung“, und beim Refrain hauchte er Andy statt Johnny: „Andy, wenn Du Geburtstag hast, dann komm zu mir...“ Ein schöner Abend in einer Kneipe, und alles auf Video festgehalten.

Ihre erste „Show“ macht Mike 1987. In Ibiza. Dort besuchte er mit einem Freund eine Travestie- Show im Theatro. „Was der kann, kann ich auch“, sagte er sich, „etwas zu laut“, sagt er heute kokett bescheiden, vielleicht auch laut genug. Jedenfalls hat das jemand gehört, und am nächsten Tag stand er auf der Bühne. Weiße Rosen aus Athen, eine himmlische Edelschnulze, vor deutschen Urlaubern, in

fremden Klamotten, ohne Übung: „Ich konnte nichts, aber die Leute waren begeistert.“

Seitdem übt er und staffiert sich aus. Playbacks von Mireille Matthieu, Liza Minelli, Catarina Valente, Ingrid Steeger, Kein billiger Spaß. 150 Mark kostete ein Band bis vor kurzem. Jetzt blüht das Karaoke-Geschäft, und die CDs mit den Musiken bekannter Lieder kosten nur noch um die 40 Mark.

Dafür gehen die Klamotten ins Geld. „Ein Meter Federboa kostet schon 200 Mark, und für ein richtiges Kleid brauchst du gut sechs sieben Meter.“ Pumps, Strumpfhosen, Röcke, Perücken, Schminke: Michella schätzt den Wert ihrer Garderobe auf 7.000 Mark.

Als Mike elf Jahre alt war, hat er „das erste Mal mit einem Kerl –rumgemacht“, und gleich gewußt, was los war. Satte sieben Jahre hat es dann noch gedauert, bis er sein Coming out als Transvestit gahabt hat. „Probleme hatte ich aber nie damit“, erzählt er, und seine Mutter, mit der er zusammenlebt, weiß von seiner Transsexualität seit zwei Jahren. „Die hat sich natürlich gewundert, warum ich immer mit Kerlen ankam“, und schließlich habe er ihr's erzählt. „Sie will davon nichts wissen, aber sie läßt mich in Ruhe.“ Und der Vater? Mike lacht, aber so lustig schien es nicht mit ihm gewesen zu sein. Er lebt schon lange von Frau und Sohn getrennt und weiß bis heute nichts.

„Silikonbrüste? Mach' ich nicht. Wenn's oben wächst, schrumpft's unten“

Als Michella hat Mike seine Grenzen klar abesteckt. Silikonbrüste oder Hormone macht er nicht, „dafür bin ich zu sehr Mann. Wenn's oben wächst, schrumpft es unten.“ Und als „Fummeltante“ will er schließlich auch nicht durchs Leben gehen. Klamotten, das ist klar, modellierte Fingernägel auch, Perücken und so weiter, aber Hormone: Nein, und Operationen schon lange nicht.

Die Kunst der Travestie erblüht vor allem bei den Conferencen zwischen den Nummern. Witz, Schlagfertigkeit, Anspielungen, natürlich oft im Genitalbereich: Nicht plump, sondern knackig, daß es knallt. Da ist es wie mit den Marktschreiern: Jeder klaut bei jedem, „und es kann Dir passieren, daß Du Deine eigenen Witze auf der Bühne hörst, wenn Du noch garnicht dran bist.“ Was für ein Gefühl: Auf die Bühne zu müssen, und die vorbereiteten Witze sind schon gelaufen! Und dann das Publikum! „Das Publikum ist über all anders.“ Mike mag die unproblematischen, die sich „die Show“ angucken und dann wieder nach Hause gehen. Schwierig ist es mitunter in Städten mit einer harten „Transen-Szene“. Da kann es schon mal sein, daß das Publikum nicht nur aus Show die Peitsche will, „Wenn Du da wieder raus kommst, bist Du nur noch froh.“

Mike bastelt an der großen Karriere. Bis dahin muß er wohl noch ein paar Jobs übernehmen. Um seine Zukunft hat er aber keine Angst: „Ob als Kerl oder als Frau: Meine große Schnauze hilft mir immer.“

Markus Daschner

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen