: Der „Hausmann des Jahres“ als Menschenschmuggler
■ Lüneburger Kaufmann wegen Mordversuchs vor Gericht, weil er in einem Container 80 Sikhs zum Export nach Kanada zusammenpferchte / Opfer inzwischen abgeschoben
Lüneburg (dpa) – Wegen Mordversuchs an indischen Sikhs in mindestens 36 Fällen muß sich seit Dienstag ein 50jähriger Kaufmann vor dem Landgericht Lüneburg verantworten. Er gilt als Drahtzieher eines geplanten Menschenschmuggels. In einem nur zwölf mal 2,5 Meter großen Frachtcontainer hatten vermutlich 60 bis 80 Inder auf dem Seeweg nach Kanada gebracht werden sollen. Der verriegelte Behälter war in Reimerdingen (Niedersachsen) abgestellt worden. Die Sikhs waren daraus am 21. Februar 1992 im letzten Moment entkommen.
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, daß die Menschen die Fahrt nach Kanada nicht überlebt hätten, erstickt oder erfroren, verdurstet oder verhungert wären. Der Vorsitzende Richter Hans- Günther Stürmann hingegen gab zu Prozeßbeginn den Hinweis, daß ein „engerer Vorsatz einer Tötungshandlung“ bislang nicht habe nachgewiesen werden können.
Stundenlang dauerte am ersten Prozeßtag die Vernehmung des Angeklagten zu der Frage, wieweit er die Luftzufuhr in dem Transportbehälter sichergestellt habe. Zweihundert Luftlöcher sollte ein von ihm beauftragter „Alleskönner“ bohren. Kontrolliert hat der Kaufmann diese Arbeiten offenbar nicht. Ein für den Katastrophenfall gekauftes Signalhorn habe er nicht in den Container gelegt, sondern im Auto vergessen, berichtete der Angeklagte.
Nach Polizeifotos und Sachverständigenaussagen wäre ein Entkommen auf hoher See nicht möglich gewesen, weil die Tür des Containers nur höchstens zwanzig Zentimeter zu öffnen gewesen wäre.
Obwohl sich wahrscheinlich bis zu 80 Sikhs in dem Container aufgehalten hatten, nennt die Anklage nur 36 Fälle. Von mehr Menschen waren die Personalien nicht mehr feststellbar. Die einstigen Opfer des Kaufmannes wurden inzwischen wegen illegaler Einwanderung abgeschoben. Sie hatten laut Anklage für die bevorstehende Fahrt im Container 5.000 Mark bezahlt, in Kanada sollten noch einmal 80.000 Mark fällig werden.
Der Kaufmann, der vor einigen Jahren von einer Frauenzeitschrift zum „Hausmann des Jahres“ gekürt worden war, sagte weiter aus, er habe vor der in Deutschland nicht verbotenen Ausschleusung der Sikhs bereits zahlreiche Ausreisen nach England und eine nach Kanada organisiert.
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