: Umweltverschmutzung hat eine lange Tradition
■ Der Bremer Umwelthistoriker Arne Andersen über die Epochen der Naturzerstörung
taz: Auch in der vermeintlich guten alten Zeit hat der Mensch schon ökologische Krisen verursacht, von der Bodenerosion in der Antike über die Waldvernichtung im Mittelalter bis zur Luftverpestung durch frühe Industrien. Dennoch findet man darüber nur sehr vereinzelt Aufsätze; es gibt lediglich einen Lehrstuhl für historische Umweltforschung. Warum ist das Interesse an dem Thema so gering?
Arne Andersen: Unter anderem fehlt uns eine starke pressure group, wenn man das zum Beispiel mit der historischen Frauenforschung vergleicht.
Die Umweltbewegung ist doch keinesfalls weniger stark als die Frauenbewegung.
Als politischen Faktor gibt es sie aber erst seit etwa 20 Jahren. Und seither war sie intensiv mit der aktuellen, sich immer weiter verschlechternden Umweltsituation beschäftigt. Die Umweltschützer fangen erst an zu begreifen, daß die Probleme, mit denen sie sich auseinandersetzen, eine lange Tradition haben und daß deshalb die Forschung darüber für sie interessant sein könnte.
Was kann die Umweltbewegung von der Umweltgeschichte lernen?
Tja, das werde ich als Umwelthistoriker oft gefragt. Ich kann natürlich keine direkten Handlungsanweisungen geben. Aber bestimmte Wahrnehmungs- und Handlungsmuster sind seit langer Zeit so festgefahren, daß es mir wichtig scheint, die einmal zu hinterfragen.
Zum Beispiel?
Bei der Geschichte der Luftverschmutzung ist seit Jahrhunderten das Muster immer das selbe: Wir bauen den Schornstein einfach noch etwas höher, damit das scheinbar unendliche Luftmeer die Schadstoffe aufnimmt. Im letzten Jahrhundert ging es darum, von 30 auf 50 Meter zu gehen, inzwischen ist man bei 300 Metern angelangt. Es ist Zeit, endlich über diese uralten Argumentationsschienen hinauszugehen.
In vielen umwelthistorischen Aufsätzen liest man, daß an den ökologischen Krisen schlicht das Bevölkerungswachstum schuld gewesen sei – was lächerlich scheint angesicht der geringen Anzahl von Menschen im Europa des Mittelalters, verglichen mit heute.
Ich habe natürlich große Probleme mit der rechtsradikalen Position innerhalb des Umweltschutzes, die fordert, die Ausländer müßten raus, weil die Umwelt hier die zusätzliche Bevölkerung nicht mehr verkraften könne.
Ich sehe gegenwärtig die Gefahr, daß in dem Zusammenhang auf umwelthistorische Diskurse zurückgegriffen wird.
Genau. Deswegen müssen wir die umwelthistorische auch immer als sozialhistorische Diskussion betreiben. Denn daß das Bevölkerungswachstum nicht der entscheidende Grund für die Umweltzerstörung sein kann, zeigt sich zum Beispiel bei der Klimakatastrophe: Nur 25 Prozent der Menschheit, nämlich in den Industrieländern, verbrauchen 75 Prozent der Weltenergie.
Welche sozialen Aspekte der Umweltzerstörung in der Geschichte könnte man denn anführen?
Bei dem Prozeß der Verstädterung ab dem Mittelalter zum Beispiel gab es enorme neue Probleme, vor allem mit der Wasserver- und -entsorgung. Da haben sehr schnell soziale Mechanismen gegriffen, indem man etwa die Juden verantwortlich gemacht hat für die Brunnenvergiftung.
Läßt sich die umweltgeschichtliche Entwicklung in Epochen unterteilen?
Man kann mindestens zwei größere Sprünge festmachen. Vor der Industrialisierung sind die Umweltzerstörungen immer lokal oder regional begrenzt gewesen. Seither fand ein Übergang statt zu globalen Zerstörungen. Der zweite Sprung war dann in den 50er Jahren, in der Nachkriegsphase. Auf der materiellen Seite fand der Übergang zur Erdölwirtschaft statt, was für Umwelt und Klima ganz entscheidend war. Noch wichtiger ist aber, daß sich die Menschen, zumindest in den industrialisierten Ländern, abgewendet haben vom Sparsamkeitsparadigma. Früher wurden die Socken noch geflickt, und wenn das Hemd kaputt war, wurden Topflappen daraus gemacht. Dann aber fand ein Wechsel statt zum Konsumismus, zur Ex-und-hopp-Mentalität.
Aber parallel dazu änderte sich die Einstellung zu den Umweltauswirkungen unseres Tuns. Gibt es, um die historische Entwicklung mal in die Zukunft fortzuschreiben, da nicht eine Hoffnung?
Ich bin skeptisch. Sicher gibt es eine Art Ökologisierung des Lebensstils. Aber diejenigen, die im Bioladen einkaufen und ihren Müll brav trennen, das sind doch häufig dieselben, die dann nach Indien oder sonstwohin fliegen. Und damit ist ihre Umweltbilanz wahrscheinlich deutlich schlechter als die von einem Malocher im Ruhrgebiet ganz ohne ökologischen Lebensstil, der im Urlaub bestenfalls an die Nordsee fährt. Da bedarf es noch einigen Umsteuerns, und dazu können vielleicht auch Umwelthistoriker beitragen. Das Gespräch führte
Nicola Liebert
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen