: Umwelt-Zeitbombe Jakarta
Umweltgefahren in Asiens Riesenstädten bedrohen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit / Größtes Umweltproblem: das Wasser ■ Aus Jakarta Sheila Tefft
Für den Slumbewohner Gede ist das stinkende, einen halben Meter hoch um seine Beine und die paar Möbelstücke in seiner winzigen Hütte wirbelnde Wasser der reine Alltag. Nach schweren Regenfällen am Tag zuvor füllte das sogenannte „schwarze Wasser“ die Straßen mit ihren vielen Schlaglöchern und die Hütten von Kapuk Mauro bis zur Hüfte, erzählt Gede, ein kleiner grauhaariger Mann, der als Wächter arbeitet. Inzwischen ist das mit Unrat und Schmutz aus offenen Abflüssen versetzte Wasser auf Kniehöhe abgesunken, aber er ist sicher, daß es wieder steigen wird. „Während der Regenzeit geht das Wasser am Nachmittag zurück und kommt am Morgen wieder; wie Leute, die zur Arbeit gehen und heimkommen“, sagt er fröhlich. „Man kann dem Wasser nirgends entgehen.“
Die Bewohner dieses Slums in Nord-Jakarta leiden täglich unter der Umweltkatastrophe in Indonesiens Hauptstadt. Wie viele andere asiatische Großstädte platzt Jakarta aus allen Nähten – unter dem Druck des schnellen Wirtschaftswachstums und der Zunahme der städtischen Bevölkerung. Es gibt zu viele Autos, die Qualität der Luft und des Wassers sind massiv bedroht. Aber zugleich entwickelt sich, nicht zuletzt durch den Druck westlicher Länder und anderer internationaler Kreditgeber, in Indonesien und den anderen Schwellenländern Asiens das Bewußtsein, daß Wachstum und Umweltverschmutzung nicht notwendigerweise Hand in Hand gehen müssen. „Es fehlt das Gleichgewicht im Wachstumsprozeß von Industrie und Infrastruktur. Dieses Ungleichgewicht verstärkt sich noch in den Städten“, erkennt Umweltminister Sarwono Kusumaatmadja. „Seit Jahren wurden die Umweltprobleme von der Entwicklung getrennt behandelt. Wir haben gerade erst begonnen, sie zusammenzubringen, aber nur behelfsmäßig.“
In den letzten Jahren hat die Weltbank gewarnt, Asiens überfüllte Riesenstädte stellten zunehmend ein Gesundheitsrisiko dar. Da die Zunahme der Umweltverschmutzung das Tempo des Wirtschaftswachstums bei weitem übertrifft, liegen inzwischen fünf der sieben am stärksten luftverschmutzten Städte in Asien: Jakarta in Indonesien, Beijing und Shenyang in China und Neu-Delhi und Kalkutta in Indien. Die Kosten dieser Umweltverseuchung werden noch steigen, schrieb die Bank 1993 in einem Bericht. Bis 2025 wird Asiens Bevölkerung um mehr als 50 Prozent auf 4,3 Milliarden steigen. Mehr als die Hälfte dieser Menschen wird sich auf 13 Stadtregionen konzentrieren.
Jakarta ist eine dieser Umweltzeitbomben, wo die Probleme bedrohlich, aber noch lösbar sind, wie internationale und indonesische Experten meinen. Eine wirtschaftlich blühende Metropole von neun Millionen Menschen, die jährlich um mehr als 4 Prozent wächst. Doch damit einhergehend hat sie mit verschmutzten Wasservorräten zu kämpfen, mit Industrie- und Autoabgasen, die sich in den nächsten 25 Jahren noch drastisch verschlimmern könnten. Die Weltbank schätzt, daß die Luft- und Wasserverschmutzung in Jakarta jährlich 6.000 Menschenleben fordert und wirtschaftliche Verluste in Höhe von einer Milliarde Dollar verursacht. Wenn nichts getan wird, könnten die Auswirkungen auf die Gesundheit möglicherweise einen Rückschlag auch für die Ökonomie des Landes auslösen, warnte die Bank in einem Umweltschutzbericht über Indonesien. Indonesiens ökonomische Leistungsfähigkeit und Anziehungskraft für ausländische Investitionen würde leiden, was das Wirtschaftswachstum des Landes ernsthaft beeinträchtigte.
Indonesische und internationale Experten vertreten die Ansicht, daß gerade Indonesiens später Start in die ökonomische Entwicklung die Chance biete, Maßnahmen zur Korrektur einzuleiten, bevor es zu spät sei. Z.B. hat die Regierung für die Umstellung auf bleifreies Benzin eine Frist bis 1995 gesetzt; sie versucht, Grenzwerte für Autoabgase einzuführen und die Industrie zur Verwendung leistungsfähigerer Maschinen anzuregen. „Ich glaube, inzwischen hat auch die Industrie gemerkt, daß wir, weil wir in diesem Spiel neu sind, etwas aus der Vergangenheit und von anderen Ländern lernen können“, sagt Umweltminister Sarwono. „Vor fünf Jahren hatten die Geschäftsleute für die Umwelt, für Abfallbeseitigung und Wasseraufbereitung noch keinen Gedanken übrig“, beobachtet Salam Husein Syapari, ein Mitarbeiter des regierungsunabhängigen indonesischen Umweltforums, das Prozesse gegen Firmen führte, um sie zur Beendigung der Wasserverschmutzung zu zwingen.
Am schlimmsten betroffen von der Verschmutzung sind nach wie vor die Armen, die 60 Prozent der Bevölkerung Jakartas ausmachen. Asiens drängendste Umweltprobleme betreffen das Wasser: industrielle und Hausabfälle verseuchen das Wasser; Abholzung führt zu Überschwemmungen; in die abgepumpten Grundwasserreserven dringt Salzwasser ein und zwingt die Regierung zum Bau kostspieliger Infrastruktur, um Wasser aus teilweise entlegenen Gegenden heranzuführen. „Bis zum Jahr 2000 wird es überhaupt kein Trinkwasser mehr geben, weil das Oberflächen- wie auch das Grundwasser verseucht sein werden“, sagt Salam Syapari vom Umweltforum voraus und weist darauf hin, daß ein Liter Mineralwasser fast doppelt soviel kostet wie ein Liter Benzin.
Aber wenn die Armen auch die Opfer sind, so halten die Experten sie zugleich auch für einen wichtigen Teil des Problems. Obwohl Industrieabfälle eine Rolle spielen, bildet der häusliche Abfall die bei weitem wichtigste Ursache der Wasserverschmutzung. In dem Armenviertel Kapuk Mauro dient der nahe gelegene Fluß Jisadane als Toilette für viele Anwohner, die sich nicht die 50 US-Cents täglich leisten können, die pro Familie für die Benutzung der öffentlichen Toilette erhoben werden – die zudem sowieso häufig kaputt ist. Die Umweltaktivistin Monique Sumanpouw, Studentin der Universität Jakarta, organisiert die Beratung für die Einwohner, damit diese den Zusammenhang zwischen Schmutz, den verbreiteten Haut- und Magenkrankheiten und dem Gestank mit den sanitären Verhältnissen erkennen. Die Veränderung gehe langsam vor sich, sagt sie. „Sie haben schon so lange so gelebt, sie nehmen es einfach hin“, sagt sie. „Sie warten auf die Hilfe der Regierung, aber die Regierung hat andere Prioritäten. Aber ich glaube, manche Leute fangen an, darüber nachzudenken; sie erkennen, daß die Menschen sich letzten Endes selbst helfen müssen.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen