: Ein Sputnik kreist über Gregor Gysi
■ Gauck-Gutachten für den Bundestag belegt enge Kontakte des PDS-Politikers zur Stasi
Hamburg (rtr/dpa) – Der PDS-Bundestagsabgeordnete Gregor Gysi soll doch enger mit dem Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR zusammengearbeitet haben, als er bislang zugegeben hat. Das besagt ein Gutachten der Berliner Gauck-Behörde, das der Immunitätsausschuß des Bundestages angefordert hatte. Wie der Sprecher der Behörde, Thomas Rogalla, gestern erklärte, gehe aus dem Gutachten hervor, daß die Stasi Gysi benutzt habe, um Informationen über die Opposition in der DDR zu erhalten und Einfluß auszuüben. Die Decknamen „Notar“, „Gregor“ und „Sputnik“ könnten Gysi eindeutig zugeordnet werden. Nach Rogallas Worten konnte aus bislang bekannten und neu hinzugekommenen Dokumenten zum ersten Mal ein umfassendes Gutachten erstellt werden.
Rogalla bestätigte einen Bericht des Spiegels, wonach die Gauck-Behörde dem Immunitätsausschuß des Bundestages die Unterlagen am Freitag zugeleitet habe. Auf mehreren hundert Seiten belege die Behörde, daß Gysi über einen Zeitraum von zehn Jahren enge Kontakte zur Stasi gehabt habe. Seine Kontaktleute seien in der Hauptabteilung XX gewesen, die mit der Unterdrückung der Opposition befaßt gewesen sei. Es sei eindeutig, daß die Stasi- Offiziere den Anwalt benutzt hätten, um Absichten von Oppositionellen frühzeitig zu erkennen und zu durchkreuzen. Bereits im letzten Herbst hatten mehrere Bürgerrechtler den Vorwurf erhoben, Gysi habe als ihr Anwalt seine Schweigepflicht verletzt und Vertrauliches an die Staatssicherheit weitergegeben.
Gysi selbst erklärte zu den Vorwürfen, er habe sich „im unterstellten Sinn“ nichts vorzuwerfen. Die Gauck-Behörde operiere nur mit Vermutungen. Der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Wilfried Penner (SPD), forderte Gysi auf, sein Mandat zurückzugeben, sollten die Vorwürfe zutreffen. Die Expertise der Gauck-Behörde stütze sich auf zum Teil bislang unbekannte Akten, darunter ein Arbeitsbuch des MfS-Majors Günter Lohr, berichtet der Spiegel. Lohr sei Führungsoffizier von „Gregor“, „Notar“ und „Sputnik“ gewesen. In der Kladde werde die Identität von Gysi und „Notar“ mehrfach deutlich. An einer Stelle habe Lohr den Namen Gysi durchgestrichen und durch „Notar“ ersetzt. Allerdings träfen nach der Aktenlage nicht alle formalen Kriterien einer IM-Registrierung zu.
Für die Einstufung Gysis sei das jedoch zweitrangig gewesen. Gysi habe als Rechtsbeistand führender DDR-Oppositioneller wie Rudolf Bahro oder Robert Havemann personenbezogene Informationen liefern können, die sich in den MfS- Akten unter den drei Decknamen wiederfänden. Die Dokumente legten den Schluß nahe, „daß Gysi als Rechtsanwalt von Oppositionellen die Interessen des MfS mit durchsetzen half und mandatbezogene Informationen an das MfS weitergab“.
So sollte Gysi, laut einem Maßnahmeplan der Stasi von 1983, die Frau des Regimekritikers Robert Havemann, Katja, aufsuchen und ihr von weiteren Aktivitäten abraten. Die Stasi sah sich dazu durch einen Artikel im Stern veranlaßt, in dem Katja Havemann die wachsende Militarisierung an DDR-Schulen beklagt. In einer Anlage zu dem Plan ist der IM „Notar“ ausdrücklich als „mit der operativen Bearbeitung beauftragter IM“ deklariert.
Diese und andere Beispiele belegen nach Ansicht der Gauck-Behörde, wie der IM konkret zu beauftragen und einzusetzen ist. Lohr hatte früher versucht, Gysi durch eine eidesstattliche Erklärung vom Vorwurf der Mitarbeit bei der Stasi zu entlasten.
An diesem Mittwoch soll das Bundesverfassungsgericht entscheiden, ob die Überprüfung der Stasi-Vergangenheit Gysis durch den Immunitätsausschuß des Bundestages Rechtens ist oder nicht. Kommentar Seite 10
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