piwik no script img

Aneignung der Bilder

Die Diskussion über „Das Verschwinden des öffentlichen Raums“ bedarf vorab einer Klärung: Welche Vorstellung von Stadt und urbaner Öffentlichkeit ist eigentlich gemeint? Reden wir über „Baukunst“ wie unser neuer Bausenator? Kokettieren wir mit „Babylon“, wie Hans Stimmann sich einst in der Metapher vergriff? Oder soll „die Stadt als soziale Form, als Willen zum Zusammenleben“ gerettet werden, wie Dieter HoffmannAxthelm unablässig mahnt?

In der Berliner Stadtdiskussion wird bislang fast ausnahmslos über Bilder debattiert: Die euphorische Selbstberauschung am völlig fiktiven „Geist der Metropole“ hat am Alexanderplatz zu Hans Kollhoffs Hochhausgewitter geführt. Die Friedrichstraße ist eine einzige Lifestyle-Inszenierung für ein besserverdienendes Publikum, das es in der erforderlichen Menge in Berlin gar nicht gibt, und am Potsdamer Platz wird Helmut Jahns verglaste Sony-Plaza genau jene sterile Künstlichkeit präsentieren, die uns die Computersimulation der Infobox heute schon suggeriert. Über die obskure Schloßdebatte oder das Debakel um die phantasierte Schinkelakademie schweigen wir am besten ganz. Es reicht schon, daß der Pariser Platz zum „feinen Salon“ werden soll – dann wird es dort keine kaukasischen Pelzmützenhändler mehr geben und erst recht keinen spontanen Mahn- und Gedenkort für die Opfer aller aktuellen Kriege. (Erinnert sich noch jemand an die Zelte und Kerzen?)

Alle Weltstadtträume und nostalgischen Sehnsüchte lassen die soziale Realität Berlins, die absehbare und erst recht jede unabsehbare, außer acht. Sie leben von der Hoffnung, daß sich die vitalen Widersprüche einer Großstadt, ihr Chaos und Konfliktpotential, bändigen ließen wie Unkraut im Schrebergarten. Weil jegliche Planung ein Leitbild braucht, schließen Politiker wie Architekten von sich auf alle anderen. Sie entwerfen die Stadt nach den Normen einer saturierten Upper Middle- class, die die Ordnung liebt, ihre Sitten verfeinert und sich die Mußestunden mit Cocktails und Erlebnisshopping vertreibt. Wer da nicht ins Bild paßt, muß wegbleiben. Wenn er allzu aufdringlich stört, hilft man dem Wegbleiben nach. Es hat schon seine Logik mit der Unterteilung der Stadt nach den Einkommensverhältnissen. Diese Segregation ist doch – Hand aufs Herz! – in unserer Gesellschaft immer noch weitgehend mehrheitsfähig.

Und der Rest? Der verkrümelt sich in die weniger ansehnlichen und unübersichtlicheren Winkel der Stadt. Der lungert bei den Hütchenspielern am Alex rum, schnorrt am Kottbuser Tor, versäuft seine Stütze in Oberschöneweide oder verbarrikadiert sein bescheidenes Wohnglück in den Hinterhöfen rund um die Ackerstraße oder am Friedrichshain. Dorthin, an die vernutzten und verlotterten Orte, hat sich der andere Anspruch auf Stadt inzwischen verzogen: Die Überzeugung, daß zum städtischen Alltag „auch das Widerständige, das Anarchische“ (Häußermann) gehört. Die Hoffnung, nicht nur Flaneur oder Kunde zwischen hermetischen Glanzfassaden, sondern inmitten unperfekter Zustände selbst Akteur zu sein. Diese Sehnsucht nach „Unmittelbarkeit“ ist so verbreitet, daß sich schon wiederum ein kommerzialisierbares Leitbild danach streckt: Man schwärmt von „prickelnder Urbanität“ und geht daran, die letzten konflikttauglichen Stadtnischen per Renovation zur Wohlstandsidylle zu „ordnen“ und für eine zahlungsfähigere Klientel „aufzuwerten“. Was nach 1990 mit der „Gentrifikation“ zwischen Schlesischer Straße und Spreeufer begann, hört am Kollwitzplatz noch lange nicht auf, und an den Hackeschen Höfen wird in Idealform vorexerziert, wie ein eben noch als Geheimtip dahindämmerndes Labyrinth sich mit ein paar Schickimickizutaten zum Szenetanzplatz verwandeln läßt.

Schon an der Wortwahl läßt sich erkennen, wer welchem Ideal von städtischem Leben anhängt: Ist der „Skulpturengarten“ hinter dem Tacheles eine Brache oder eine Oase? Ist hier eine Lücke der Stadt zu schließen oder ein „unverplanter Ort“ zu verteidigen? Egal, ob die Freifläche nach dem Nutzungsmix von Toni Sachs-Pfeiffer oder nach einem anderen Konzept aufgefüllt wird – die Kunstruine als Ort und Bühne für Improvisationen und Spontaneität wird keinerlei Neubebauung heil überstehen.

Wer an der Stadt vor allem Abenteuer und Überraschungen liebt, muß einem unauflöslichen Dilemma ins Auge sehen: Eine solche Stadt läßt sich nicht planen, ja, sie entsteht überhaupt erst durch Überwindung aller Planungsabsicht – sie ist die durch langwährende Alltagspraxis angeeignete Stadt. „Unverplante Räume“ planen zu wollen ist ein Widerspruch in sich. Nur die Wagenburg, die Berlinische Variante der Favela, ist bereits vom Gründungstag an unberechenbar.

Sogar die gutwilligsten Architekten haben keine Wahl: Was sie liefern können, sind immer nur harmonisch zu Ende gedachte Bilder. Erst wenn die einst gezeichnete Entwurfsvision verblaßt, wenn mit den Jahren langsam in Vergessenheit gerät, wer hier mal gebaut hat und zu welchem Zweck, dann wird auch das sperrigste Gehäuse zu „selbstbestimmter“ Verfügung frei. Das Tacheles in der Ruine eines ehemaligen Kaufhauses ist selbst der anschaulichste Beweis. Und wie nach der „Wende“ die Bürgerbewegungen der DDR anstandslos die SED-Kreisleitung Mitte zu ihrem Hauptquartier umfunktionieren konnten, tröstete man sich im Partytreff „Friseur“ vor dessen Schließung mit der Idee, man müsse nur genügend Geduld aufbringen, um sich dann eines Tages in den pleitegegangenen Galeries Lafayettes neu einnisten zu können ... Ein absurder Gedanke? Er ist dicht dran an der Wahrheit: Weil Stadt sich nicht erfinden läßt, muß sie wachsen dürfen. Stadt braucht Zeit, braucht Geschichte, zu der auch gelegentlich ein Wandel der Verhältnisse gehört, sei es im Kleinen oder im Großen. Das klingt für den konkreten Bebauungsfall Tacheles vorerst nicht besonders tröstlich, aber im allgemeinen läßt es hoffen – für Marzahn wie für Karow- Nord, für den Alexanderplatz wie für die Leipziger Straße. Sogar für die Friedrichstadt-Passagen. Wolfgang Kil

Der Architekturkritiker Wolfgang Kil schrieb in der taz zuletzt über den Angriff auf die DDR-Moderne

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen