: Geschmacklose Börsenspekulation
Die Überlebenden aus den Arbeitslagern der IG Farben kämpfen noch immer um Entschädigungen. Blutaktien“ sollen endlich aus dem Verkehr gezogen werden ■ Aus Frankfurt/Main Klaus-Peter Klingelschmitt
„Dieses Memorandum soll an die nie gesühnten Verbrechen der IG Farben erinnern. Vor allem aber wollen wir an die Zehntausende Opfer aus allen von Nazideutschland besetzten Ländern erinnern, die von IG Farben durch Sklavenarbeit vernichtet wurden.“
Das Internationale Auschwitz- Komitee, das Auschwitz-Komitee in der Bundesrepublik, zahlreiche antifaschistische Organisationen und Vereinigungen, Pax Christi und der Dachverband kritischer Aktionärinnen und Aktionäre werden heute in Berlin ein umfangreiches Memorandum und einen Appell mit dem Titel: „Für einen Schlußstrich unter IG Farben“ verabschieden – im Vorfeld der 41. Hauptversammlung der IG Farben i. A. (in Abwicklung) am kommenden Mittwoch in Frankfurt/Main.
Alleine die Existenz dieser Gesellschaft, heißt es in diesem Appell zur sofortigen Auflösung der IG Farben i. A., sei eine „Verhöhnung der Toten“, die IG Farben zu verantworten habe: „Seit 41 Jahren spekuliert diese Gesellschaft mit Aktien, an denen das Blut von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern klebt.“
Die Abwicklungsgesellschaft war Mitte der 50er Jahre gegründet worden, nachdem die Alliierten 1946/47 die mit dem nationalsozialistischen Terrorregime eng verflochtene IG Farben zerschlagen hatten. Die Gesellschaft sollte die Ansprüche der Opfer aus dem noch vorhandenen Kapital des eliminierten Konzerns befriedigen und eigentlich längst aufgelöst sein.
Doch bis auf die Zahlung einer einmaligen Entschädigung an ehemalige jüdische Arbeitssklavinnen und Arbeitssklaven in einer Höhe zwischen 1.500 und 5.000 Mark hat es die IG Farben i. A. bis heute verstanden, die Ansprüche anderer ehemaliger Häftlinge der Arbeitslager der IG Farben abzublocken. „Weder Roma und Sinti noch die nichtjüdischen kommunistischen Häftlinge, weder die Überlebenden in Osteuropa noch die wenigen überlebenden Opfer der Menschenversuche der Bayer AG, weder die zahlreichen IG-Zwangsarbeiterinnen und -Zwangsarbeiter innerhalb Deutschlands noch die Bevölkerung des Dorfes Monowitz, die 1941 vertrieben wurden, um das KZ zu bauen – keine dieser Gruppen wurde jemals entschädigt.“
Alleine in Auschwitz III (Monowitz), dem konzerneigenen Konzentrationslager der IG Farben, wurden etwa 30.000 jüdische Gefangene durch Zwangsarbeit vernichtet. Die Firma Degesch, eine Tochter der IG Farben, produzierte das Giftgas Zyklon B, mit dem Millionen Jüdinnen und Juden ermordet wurden.
Auch die Nachfolgekonzerne der IG Farben verweigern bis heute Entschädigungszahlungen an die letzen noch lebenden Opfer der Arbeitslager. Die Vorstandsvorsitzenden von BASF, Bayer und Hoechst verweisen unisono auf die IG Farben i.A. „Die setzten alle auf die biologische Lösung“, sagte auf der letzen Hauptversammlung im Jahre 1995 ein ehemaliger Zwangsarbeiter verbittert, der auf Einladung der Kampagne „Nie wieder!“ – ein Zusammenschluß kritischer AktionärInnen – aus Polen angereist war.
Nach der Wende galt es vor allem in Kreisen junger Börsenspekulanten als „schick“, bei den Depotbanken Aktien der IG Farben i.A. zu ordern. Denn die Abwicklungsgesellschaft versuchte und versucht, sich Immobilien der alten IG Farben auf dem Gebiet der DDR einzuverleiben. Bislang vergeblich. Ein Verfassunggerichtsurteil dazu steht noch aus.
Sollte IG Farben i. A. tatsächlich noch die ehemaligen Besitztümer der verbrecherischen IG Farben im Osten zurückerhalten, so werde die Gesellschaft mit fünf Prozent (!) des so zurückgewonnenen Vermögens eine Stiftung gründen, mit deren Mitteln dann Ansprüche von Opfern „kompensiert“ werden könnten. Das kündigte Liquidator Günther Vollmann 1991 an. Bei der IG Farben i.A. selbst ist schon lange fast nichts mehr zu holen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen