: „Teheran zeigt seine Macht“
■ Der Generalsekretär der iranisch-kurdischen Komala Ibrahim Alisadeh über die aktuelle Situation in Irakisch-Kurdistan, die jüngsten iranischen Angriffe und den „kritischen Dialog“ der Bundesregierung mit Teheran
Ibrahim Alisadeh (44) ist Generalsekretär der iranisch-kurdischen Partei Komala. Die sozialistisch orientierte Organisation konkurriert mit der konservativeren Kurdischen Demokratischen Partei – Iran (KDP-I). Die Komala ist Teil der Kommunistischen Partei Irans. Sie fordert ein Referendum, in dem die iranischen Kurden über einen eigenen Staat oder Autonomie innerhalb Irans entscheiden sollen. Die Partei favorisiert letzteres. Ihr Hauptquartier steht im Nordirak.
taz: Der iranische Einmarsch im Nordirak ist vorerst vorbei. Wie sieht es jetzt dort aus?
Ibrahim Alisadeh: Die iranischen Truppen stehen jetzt direkt an der Grenze zwischen Iran und Irak. Das Hauptquartier der Kurdischen Demokratischen Partei Kurdistans – Iran (KDP-I) ist größtenteils zerstört. Zum Glück war mit dem Angriff zu rechnen. Das Lager war zum Zeitpunkt des Angriffes evakuiert.
Gibt es auch Angriffe auf Kurden im Iran?
Die Dörfer entlang der Grenze sind größtenteils geräumt worden. In anderen Dörfern, in denen die iranischen Militärs bewaffnete Kurden vermuteten, haben sie Zivilisten angegeriffen und Häuser und landwirtschaftliche Einrichtungen zerstört. Inzwischen leben 10.000 bis 12.000 iranische Kurden als Flüchtlinge im Nordirak.
Warum hat der Iran gerade jetzt eine Offensive gegen die Kurden gestartet?
Das Hauptziel des Angriffs im Nordirak war nicht die KDP-I. Der Islamischen Republik Iran geht es darum, die kurdische Regierung im Nordirak zu schwächen. Teheran zeigt seinen Einfluß und seine Macht. Die Iraner haben demonstriert, daß sie jederzeit im Nordirak einmarschieren können.
Welche Rolle spielen die irakisch-kurdischen Parteien dabei, die Kurdische Demokratische Partei (KDP) und die mit ihr konkurrierende Patriotische Union Kurdistans (PUK)? Die KDP wirft der PUK vor, mit den Iranern zusammenzuarbeiten.
Die Kooperation hat sich darauf beschränkt, daß die PUK die Augen zugemacht hat, als die Iraner gekommen sind.
Außer den Kurden gibt es wohl keine Bevölkerungsgruppe ohne eigenen Staat, aber mit dermaßen vielen rivalisierenden Parteien. Warum ist das bei den Kurden so?
Die kurdischen Parteien haben sehr unterschiedliche Interessen. Wir können nicht so tun, als bräuchten wir nur zusammenzuhalten, um uns zu befreien. Die Streitigkeiten haben mehrere Ursachen: Zum einen die unterschiedlichen Schichten innerhalb der kurdischen Gesellschaft – die kurdische Gesellschaft ist sehr heterogen; zum anderen der Einfluß der Nachbarstaaten auf die jeweiligen Parteien. Wir müssen versuchen, die Verhältnisse so zu regeln, daß es keine bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den kurdischen Organisationen gibt, sondern politische.
Ein hehres Ziel. Aber in der Praxis gibt es keine einzige kurdische Organisation, die nicht irgendwann mit Kräften zusammengearbeitet hat, die Kurden schaden wollen.
Ich kann nur für die iranischen Kurden sprechen: Wir haben schon lange Beziehungen zur irakischen Regierung. Wir hatten schon vor dem Golfkrieg Lager im Nordirak. Aber die Kontakte nach Bagdad sind nie so weit gegangen, daß wir uns gegen die irakischen Kurden haben einspannen lassen.
In Deutschland werden Kurden fast automatisch mit der türkisch- kurdischen Arbeiterpartei Kurdistan (PKK) in Verbindung gebracht. Die Partei nennt sich wie die Komala „sozialistisch“. Unterhalten Sie Kontakte zur PKK?
Beide Parteien haben sehr starke ideologische Differenzen. Nach meinem Verständnis ist die PKK keine sozialistische Partei...
Sondern?
Eine nationalistische Partei mit sozialistischer Dekoration.
Die deutsche Regierung unterhält gute Beziehungen nach Teheran. Außenminister Kinkel spricht von einem „kritischen Dialog“. Nutzt der auch den iranischen Kurden?
Nein. Der kritische Dialog soll nur die ausgezeichneten wirtschaftlichen Beziehungen legitimieren. Kinkel vertritt die Interessen der Konzerne. Der kritische Dialog hat die Haltung der iranischen Regierung nicht um einen Zentimeter verändert, sei es in der Menschenrechtsfrage oder im Fall Salman Rushdie. Auch die terroristischen Aktivitäten iranischer Geheimdienstler in Europa sind dadurch nicht weniger geworden. Seit Beginn des „kritischen Dialogs“ sind weltweit 115 iranische Oppositionelle ermordet worden.
Gibt es auch einen Dialog zwischen der Bundesregierung und iranischen Kurden?
Nein, nicht das ich wüßte.
Interview: Thomas Dreger
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