: Stahmer will Bezirke bevormunden
■ Schulsenatorin Stahmer will den Stadträten vorschreiben, wieviel Geld sie für Schulbücher ausgeben sollen. Auch Bau- und Umweltsenator kritisieren die neugewonnene Finanzautonomie der Bezirksämter
Die neue Freiheit der Bezirke ist einigen SenatorInnen ein Dorn im Auge. Den Senatsverwaltungen für Schule, Umwelt und Bau paßt nicht, wofür die Bezirksämter ihr knappes Geld ausgeben und wo sie Ausgaben kürzen. So bemängelt Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD), daß den SchülerInnen in manchen Bezirken zuwenig Geld für neue Unterrichtsbücher zur Verfügung gestellt werde. Deswegen will sie mit einer Änderung des Schulgesetzes bis auf die Mark genau regeln, wieviel Geld die Bezirke ihren Schulen für Lehr- und Lernmittel überweisen müssen.
Die zentrale Vorgabe aus dem Hause Stahmer würde die Fortschritte der Verwaltungsreform teilweise rückgängig machen. Diese Reform soll unter anderem auf Bezirksebene zu mehr Effektivität und BürgerInnennähe führen. Während früher das meiste vom Land zur Verfügung gestellte Geld nur für exakt definierte Zwecke ausgegeben werden durfte, können die Bezirke seit 1995 Hundertausende von Mark dorthin schieben, wo sie aktuell gebraucht werden.
Wegen schlechter Wirtschaftslage und zunehmender Armut steigen augenblicklich die Sozialausgaben der Bezirke um bis zu 20 Prozent. „Da haben wir uns entschlossen, bei den Lehr- und Lernmitteln zu kürzen“, sagt Michael Wendt, Neuköllns bündnisgrüner Bildungsstadtrat. Während früher pro SchülerIn durchschnittlich 114 Mark für Bücher und Unterrichtsmaterial ausgegeben wurde, kann sich die arme Verwaltung jetzt nur noch 70 Mark leisten. Mit den gesparten Märkern füllt man den Sozialhilfeetat auf.
„Das widerspricht der Lernmittelfreiheit“, erzürnt sich Wolfgang Zügel, Sprecher von Schulsenatorin Stahmer. Das Recht der SchülerInnen, die Bücher kostenlos zu erhalten, sei schließlich im Schulgesetz garantiert. Da dürfe der Stadtrat die Mittel nicht einfach in einen anderen Etat verschieben, so Zügel. Eine Neuköllner Schule habe die Eltern sogar angegangen, fünfzig Mark aus eigener Tasche für Unterrichtsmaterial zu berappen.
Um solche Auswüchse zu unterbinden, hat das Landesschulamt jetzt einen Vorschlag für die Änderung des Schulgesetzes erarbeitet. Demnach sollen GrundschülerInnen 60 Mark und OberstufenschülerInnen an Gymnasien 170 Mark pro Jahr zustehen. Die anderen Schultypen bewegen sich dazwischen. Neuköllns Stadtrat Wendt glaubt freilich nicht, daß diese Regelung vom Rat der Bezirksbürgermeister akzeptiert wird, denn sie schränke die neugewonnene Autonomie zu sehr ein.
Das Ansinnen der Schulsenatorin sei „einfach lächerlich“, meint Schönebergs Bürgermeisterin Elisabeth Ziemer (Bündnis 90/Die Grünen). Die Mittel, die der Senat den Bezirken zur Verfügung stelle, würden ständig gekürzt. Gerade stehe wieder eine neue Sparrunde an, bei der fast eine Milliarde Mark aus den Bezirkshaushalten herausgeschnitten werden sollten. „Irgendwo müssen wir schließlich sparen“, so Ziemer. Um Sozialhilfeempfänger weiter unterstützen zu können, kürze man eben bei den Lehr- und Lernmitteln.
Grüne wehren sich gegen Präzedenzfall
Gegen die Intervention der Schulsenatorin wehrt sich Schöneberg auch deshalb, weil man darin ein mögliches Vorbild für weitere Konflikte sieht. Wenn Stahmer sich durchsetze, kämen auch „die anderen Senatsressort mit ihren Vorschriften“, befürchtet Bürgermeisterin Ziemer.
Die Sorge mag nicht unberechtigt sein. Denn auch beim Straßenbau kam es schon zu Unstimmigkeiten zwischen der Zentralverwaltung und den Bezirken. So schickt Schöneberg seine Reparaturtrupps nur noch los, wenn große Löcher im Asphalt klaffen. Kleinkram wird nicht mehr repariert. Das könne die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährden, heißt es dazu in der Bauverwaltung. Trotzdem wolle Senator Kleemann (CDU) nicht zu konkreten Anweisungen an die Bezirke greifen, sondern sich mit ernsten Gesprächen begnügen, sagt Sprecherin Petra Reetz.
Wegen der Pflege von Grünflächen gerät Umweltsenator Peter Strieder (SPD) mit dem Bezirk Tiergarten aneinander. Von den 4,9 Millionen Mark, die zwecks Pflege der Parkanlagen an das Bezirksamt überwiesen wurden, hat dieses nach Angaben der Senatsverwaltung nur 800.000 Mark in Rosen, Tulpen und Ziersträucher investiert. Des Senators Naturschützer beschweren sich nun, daß der Tiergarten verkomme. Gerne würde man das Geld wieder von oben zu den Beeten dirigieren. Hannes Koch
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen