: Die Nationalsozialisten haben bei Kriegsende für zehn Milliarden Mark Gold in Schweizer Tresore verlagert. Der britische Nachrichtendienst drückte aus strategischen Gründen beide Augen zu. Jetzt fordern jüdische Organisationen die Herausgab
Die Nationalsozialisten haben bei Kriegsende für zehn Milliarden Mark Gold in Schweizer Tresore verlagert. Der britische Nachrichtendienst drückte aus strategischen Gründen beide Augen zu. Jetzt fordern jüdische Organisationen die Herausgabe.
Goldklau mit Wissen der Alliierten
„Er war der erste Pole, der einen Telefonanschluß hatte“, sagt Sebastian Kornhauser. „Seine Geschäftsfreunde sagen, daß er sehr reich war.“ Kornhauser spricht von seinem Großvater. Jan Kornhauser besaß in Krakau einen florierenden Juwelierladen. Im Winter 1940 kamen die Nazis und plünderten das Geschäft, weil er Jude war. Goldbarren, Diamanten, Schmuckstücke – der ganze Warenbestand verschwand in den Taschen der Deutschen. Jan Kornhauser floh in die Schweiz, wo er 1964 starb. Sein Enkel glaubt, daß auch die Beute in der Schweiz gelandet ist, deponiert von den Plünderern. Als rechtmäßiger Erbe verlangt er nun sein Eigentum zurück. Allerdings weiß Sebastian Kornhauser nicht genau, wieviel damals gestohlen wurde.
Bekannt ist hingegen der Gesamtwert des geraubten Goldes, das die Deutschen in den Tresoren von Schweizer Banken versteckt haben: zehn Milliarden Mark. Das geht aus dem 50 Jahre alten Commonwealth-Memorandum hervor, das die britische Regierung vorgestern veröffentlicht hat.
Es war das Jahr 1946: Die Alliierten verhandelten mit der Schweizer Nationalbank um die Rückgabe des Nazigoldes. Der Schweizer Vertreter Hirs beteuerte, daß die Bank niemals Gold dubioser Herkunft angenommen hätte. Als ihm der französische Delegierte Vaidie detaillierte Unterlagen vorlegte, aus denen hervorging, daß die Deutsche Reichsbank die belgische Goldreserve eingeschmolzen, mit gefälschter Seriennummer versehen und in der Schweiz deponiert hatte, wurde Hirs nervös. Er befürchtete, daß die Alliierten sämtliche deutschen Konten und Schließfächer, die während des Faschismus eingerichtet worden waren, ausräumen wollten. Dann rutschte ihm die Summe heraus, um die es ging: 500 Millionen Dollar – die heute rund zehn Milliarden Mark wert sind.
Dennoch rückte die Schweizer Nationalbank 1947 nur 60 Millionen Dollar heraus. Die USA, Großbritannien und Frankreich hielten es für das beste Ergebnis, das sie herausholen konnten, heißt es in dem 23seitigen Memorandum. Auf Beschwerde der Tschechoslowakei, die monierte, daß die Schweizer glimpflich davongekommen seien, antworteten die Alliierten: „Kein Argument der Alliierten änderte etwas an der Schweizer Haltung. Sie waren der Ansicht, daß alliierte Ansprüche auf deutsche Werte in der Schweiz jeder Rechtsgrundlage entbehrten.“ In dem Memorandum wird ausdrücklich zugegeben, daß „Großbritannien und seine Alliierten“ seinerzeit über den Transfer informiert waren.
Die britische Regierung hat das Memorandum erst auf Druck des Labour-Abgeordneten Greville Janner, Vizepräsident des Jüdischen Weltkongresses, veröffentlicht. Noch im Juni hatte der britische Außenminister Malcolm Rifkind auf Janners Anfrage geantwortet, das „Außenministerium weiß nichts von Behauptungen, daß der britische Nachrichtendienst Dokumente über Nazigold in Schweizer Banken gekannt habe“.
Hunderttausende könnten eine Klage einreichen
In Wirklichkeit wußte der Nachrichtendienst jedoch schon während des Krieges Bescheid, entschied sich jedoch für Stillhalten, wie aus einer damaligen Aktennotiz hervorgeht: „Zu großer Druck auf den deutsch-schweizerischen Geldverkehr könnte eine deutsche Besetzung der Schweiz oder eine weitere Annäherung der Schweiz an die Achsenmächte zur Folge haben. Beides wäre für die britische Kriegsführung von Nachteil.“
Nach dem Krieg richteten die Alliierten die Trilaterale Goldkommission ein, die sich jedoch nur um die geplünderten nationalen Goldreserven und nicht um individuelle Ansprüche kümmerte. „Die Zahl der individuellen Kläger könnte in die Tausende gehen“, steht in dem Memorandum. Janner sagte gestern, daß die Zahl in Wirklichkeit „viele hunderttausend“ betragen würde.
Das Nazigold floß auch nach Portugal, Schweden und Spanien. Janner ist sicher, daß darunter auch Goldbarren waren, die aus dem eingeschmolzenen Schmuck und den Zahnfüllungen von Juden bestanden. Die Bank von England hatte im März 1943 festgestellt, daß Deutschland mehr Gold verkauft hatte, als es 1939 besessen hatte. „Bei jeder weiteren Transaktion mußte es sich notwendigerweise um geplündertes Gold gehandelt haben“, folgerte die Bank.
Die Bank von England und die US-Landeszentralbank in New York verwalten immer noch Millionensummen im Auftrag der Goldkommission. Nicht bekannt ist bisher, ob darunter auch Gold ist, das die Nazis jüdischen Einzelpersonen geraubt haben. Die Werte sollen unter den Ländern verteilt werden, deren Reserven von den Nazis geplündert worden sind. Das ist bis heute nicht geschehen, weil die britische Regierung von Albanien – einem potentiellen Nutznießer des Kommissionsgoldes – Schadensersatz für die Versenkung eines Kriegsschiffes verlangt, das 1946 im Korfu-Kanal auf eine albanische Mine lief. Eine Einigung steht aber wohl bevor.
Janner begrüßte die Veröffentlichung des Memorandums, betonte jedoch, daß noch viele Fragen offen seien. „Eine deutliche Spur führt in die Schweiz“, sagte er. „Das wirtschaftliche Klima ist heute anders als 1947. Europa muß nicht länger moralische Optionen zugunsten des dringenden ökonomischen Wiederaufbaus opfern. Die Schweiz ist moralisch dazu verpflichtet, über die Rückgabe der Goldreserven an Länder und Personen nachzudenken, denen sie weggenommen wurden.“ Er forderte Rifkind auf, die Sache zur Sprache zu bringen, wenn der Außenminister nächste Woche nach Zürich fliegt.
Robert Reich von der Schweizer Botschaft in London sagte, seine Regierung werde das Memorandum studieren. „Wenn neue Informationen bekanntwerden, sind wir flexibel genug, um darauf zu reagieren“, sagte er. Seit 1. Juni dieses Jahres können Naziopfer Anfragen über gestohlenes Eigentum in der Schweiz stellen. Bis dahin war das aufgrund von Bestimmungen des Verbandes Schweizer Banken nicht möglich.
„Bisher haben die Schweizer die Anfragen immer abgeblockt“, sagt Sebastian Kornhauser, „aber jetzt bin ich sehr optimistisch.“ Sein Anwalt versucht, die Konten ausfindig zu machen, die sein Großvater vor der deutschen Invasion in Polen 1939 eingerichtet hat. „Merkwürdigerweise hat mein Großvater dieses Geld nie abgehoben“, sagt Kornhauser. „Die übrigen Werte haben die Deutschen wahrscheinlich nach Deutschland transportiert und bei verschiedenen Berliner Banken deponiert. Es wird ein langer Prozeß werden, aber ich will zurückhaben, was meiner Familie zusteht.“ Ralf Sotscheck, Dublin
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