■ Heute beginnt der Prozeß gegen Safwan Eid. Die deutsche Presse hat darüber vor allem ideologisch berichtet: Krieg der Gewißheiten
Die Briefe, die Lübecks Bürgermeister Michael Bouteiller noch Wochen nach dem Brand auf ein Asylbewerberheim in seiner Stadt zugesandt bekam, hatten alle den gleichen Tenor: Der Mann, der am Brandort geweint hatte, ward der Nestbeschmutzung geziehen, des Vaterlandsverrats und anderer Delikte, die gerne aus dem rechten Milieu vorgetragen werden, wenn ein Politiker einmal nicht ingenieurhaft routiniert auf Attentate gegen Ausländer in Deutschland reagiert. Focus-Chefredakteur Helmut Markwort, der Mann, der dürre Fakten liebt, gab dieser Stimmung Ende Januar auf geniale Weise Ausdruck: „Ich fühle mich erleichtert“, schrieb er, „daß kein Deutscher die schreckliche Tat von Lübeck begangen hat.“
Während in Lübeck selbst das Diakonische Werk von einer Welle der Hilfsbereitschaft für die Überlebenden der Brandkatastrophe überrascht wurde, nahm die Schlacht um die Aufarbeitung der Katastrophe eine andere Richtung: Es ging nicht mehr um den Tathergang, sondern lediglich darum, nur jene Fakten zur Kenntnis zu nehmen, die ins jeweils passende Muster noch paßten.
Auch andere Stimmen aus dem rechtsliberalen Lager sorgten sich vornehmlich um die Rezeption des Falles im Ausland. „Eine solche Tat läßt sich nicht erklären“, wußte die Schweriner Volkszeitung, „weder durch Streß noch mit südländischer Hitzigkeit.“ Von der xenophoben Wahrnehmung anderer Mentalitäten einmal abgesehen, war bezeichnend, was den Fall für das mecklenburgische Blatt eigentlich „politisch macht“: „Der Täter schadete dem deutschen Ansehen im Ausland.“ Nicht die skandalöse Ausländerpolitik in Deutschland war interessant – auch nicht für FAZ und Welt –, nicht das Schicksal jener, die in der Lübecker Hafenstraße lebten, nein, um reine Imagefrage war es der Zeitung zu tun. Muß man jetzt mit Pöbeleien rechnen, wenn wir unsere Deutschmark im Ausland verjuxen?
Der Lübecker Brand – ein Fall voller Gewißheiten ohne Gewißheit. Auch Linke machten den Brand unabhängig von den Flammen und ihren Opfern zu ihrer Sache. Die Ruine kokelte noch, da versammelte sich eine Schar von Menschen vor dem Brandhaus, zündete Kerzen an und protestierte damit gegen einen vermutlich ausländerfeindlichen Anschlag. Das war nur legitim: Wurde die Synagoge in der Stadt an der Trave, dieses Monument patrizischen Spießerbewußtseins, etwa nicht Monate zuvor durch eine erwiesenermaßen rechtsinspirierte Tat Ziel eines Brandanschlags?
Doch kaum waren die ersten Trauerbekundungen geleistet, waren sich andere in der Republik nicht minder gewiß: Rechte müssen es gewesen sein. Und wenn nicht die, so stand in der taz zu lesen, dann doch überhaupt und allgemein wir Deutschen. Da kam gerade recht, daß die Polizei einen Bewohner des Hauses, den heute angeklagten Safwan Eid, festgenommen hatte: Als Ausländer könne er es nicht gewesen sein. Als sich schließlich herausstellte, daß die Lübecker Staatsanwaltschaft tatsächlich schlampig ermittelt hatte, der Verdacht gegen Safwan Eid auf einer zweifelhaften Zeugenaussage fußte und anderen Spuren nicht konsequent genug nachgegangen war, stand das linksradikale Verdikt fest. Safwan Eid mutierte eilends zum Helden, dem von den „faschistoiden deutschen Behörden“ (Leserbrief aus der jungen Welt) übel mitgespielt wird.
Zeugnis legt davon ein 500 Seiten starker Band der „Projektgruppe Antinazismus der IG Medien“ ab, der akribisch die Pressereaktionen auf den Lübecker Brandanschlag auflistet. Auch den Collageuren der Mediengewerkschaft ist Ungewißheit unerträglich. Der Band ist nämlich geschrieben „Zur Erinnerung an Françoise, Christelle, Legrand, Christine, Daniel, Mija, Monique, Susanna, Rabia, Sylvia und all die anderen, die als Flüchtlinge in dieses Land kamen und von deutschen Mördern umgebracht wurden.“ Von der freundschaftlichen Einverleibung der Brandopfer – hatten sie keine Nachnamen? Kannten die Autoren die Gestorbenen vor dem Brand? – für ihre politischen Zwecke einmal abgesehen, muß die Frage erlaubt sein, woher die IG Medien weiß, daß es „deutsche Mörder“ waren, die da zündelten? Und woher speist sich das Wissen, daß dem Brand ausländerfeindliche Motive zugrunde liegen? Denn nach der postumen Laudatio heißt es mit klagender Frage: „Wie lange noch bleiben die rassistischen Mörder ungestraft?“ Die Frage war natürlich nicht als solche gemeint. Denn als sich im Frühsommer herausstellte, daß die Alibis jener vier Jugendlichen aus Grevesmühlen nicht so wasserdicht sind, wie die Staatsanwaltschaft immer behauptete, war das linke Milieu endgültig sicher, sicher sein zu dürfen. Seither ist es um den Ruf der Stadt bei Lübeck geschehen. Eine Demo sollte dazu dienen, so eine der dazu aufrufenden Gruppen, dorthin „Haß und Wut“ zu tragen. „Das kleinbürgerlich-dörfliche Milieu“, analysierte Jürgen Elsässer in der jungen Welt sogleich, „schützt vier Tatverdächtige des Lübecker Brandanschlags“. Dort finde man genau „die Mischung aus aktiven Tätern, wohlwollenden Gaffern und desinteressierten Wegsehern, wie sie auch von der sogenannten Reichskristallnacht bekannt“ sei. Darf man das, ohne selbst künftig zur Unperson erklärt zu werden, als paranoid bezeichnen? Und darf noch angefügt werden, daß der reale Rassismus in der Bundesrepublik durch derlei Rapselanalysen eher verharmlost denn beschrieben wird?
Schuld oder Unschuld spielen für die am Prozeß Unbeteiligten keine Rolle mehr. Heute beginnt er – und läuft doch schon seit Monaten. Vieles spricht dafür, daß Safwan Eids Verteidigung einen Freispruch für ihren Mandanten erreichen wird. Darüber hinaus wird der gebürtige Libanese nicht wissen, daß man ihn und seinen Fall benutzt, um politisch ganz eigene Süppchen zu kochen. Wie werden erst rechte und linke Milieus reagieren, wenn der Brand in der Lübecker Hafenstraße sich als etwas herausstellt, für das politische Kategorien nur mittelbar tauglich sind: als tragischer Zufall? Was, wenn einer aus dem Haus doch mit Streichhölzern gespielt hat? Jan Feddersen
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