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USA horchen deutsche Firmen aus

Die Industriespionage der US-Geheimdienste ist ein Tabu in den deutsch-amerikanischen Beziehungen. Experten aber behaupten: Vom bayerischen Gailingen aus werden Firmen abgehört  ■ Von Klaus Wittmann

Der Opelmanager José Ignacio Lopez saß zusammen mit Mitarbeitern, die im März 1993 mit ihm zu VW nach Wolfsburg wechseln sollten, in seinem Büro. Die Spitzenvertreter des Automobilkonzerns glaubten sich sicher, als sie über eine streng geheime Videokonferenz mit dem Konkurrenten VW sprachen. Was sie nicht ahnen konnten: Der amerikanische Geheimdienst NSA (National Security Agency) hörte mit.

Doch auch deutschen Stellen blieb diese Aktion nicht verborgen. Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom erfuhr von Mitarbeitern des Bundesamts für Verfassungsschutz Details des spektakulären Coups: „Die Informationen sind General Motors, der Opel-Mutter, in den USA zugespielt worden.“ Das erkläre auch, warum deutsche Staatsanwälte nach dem Wechsel von Lopez zu VW zielsicher bei seinen Mitarbeitern „zuschlagen und die mitgebrachten Unterlagen und Disketten ausfindig machen konnten“.

Zwei Abhöranlagen der Amerikaner in Deutschland können laut Schmidt-Eenboom solche Aktionen bewältigen: die in Bad Aibling und „Das große Ohr“ in Gailingen bei Augsburg. Von Gailingen aus wird der Richtfunkverkehr der Bundesrepublik mit Suchwortregistern überwacht. Der Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim und Autor eines kenntnisreichen Buchs über den Bundesnachrichtendienst, Schmidt-Eenboom, ist sich sicher: „Dabei spielt die Wirtschaftsspionage eine bedeutende Rolle.“

Die kreisrunde Antennenanlage bei Gailingen hat einen Durchmesser von 300 Metern und ist 30 Meter hoch. Zwölf Stockwerke soll es in die Tiefe gehen, 25 Meter exakt. Hochwertige Spezialcomputer sind mit unzähligen Hit- oder Key- Wörtern programmiert. Von hier aus kann abgehört werden, was in Deutschland und weit drumherum am Telefon gesprochen wird. Als 1971 auf dem alten Flugplatz von Gailingen-Gersthofen, der schon im Ersten Weltkrieg und im Dritten Reich eine wichtige Rolle spielte, die Amerikaner „Das große Ohr“ für das Abhören des Funkverkehrs im ehemaligen Ostblock bauten, geschah dies unter strengster Geheimhaltung. Kein deutscher Handwerker sollte diese Einrichtung zur Tiefenaufklärung zu Gesicht bekommen. Deshalb wurden Arbeiter aus England und den USA eingeflogen.

Doch der Kalte Krieg ist längst Vergangenheit, die BRD ein souveräner Staat. Was aber macht dann die 66th Military Intelligence Group heute mit dieser gigantischen Abhöranlage? „Die 66. Nachrichtendienstgruppe führt nachrichtendienstliche Aufgaben im Rahmen ihrer Nato-Mission durch. Diese Aufgaben beinhalten die Unterstützung der friedenserhaltenden UN-Operationen in den Gebieten des früheren Jugoslawiens sowie die Sicherung von Einrichtungen der US-Armee in Deutschland und deren Personal“, heißt es in einer knappen Erklärung der Amerikaner.

Kein Wort von Wirtschaftsspionage, kein Wort vom Abhören deutscher Telefone. Das Thema ist für Amerikaner und deutsche Stellen hochsensibel. Eine Anfrage zur Telefonüberwachung wird von einer vorgesetzten Dienststelle Gaiblingens in Amerika per Fax beantwortet und prompt dementiert. Vorwürfe, von Gailingen aus würden „Spionagetätigkeiten gegen das Gastland getätigt“ seien „absolut unbegründet“. Auch deutsche Stellen haben kein Interesse, Auskunft über die Funktion der Anlage zu geben. Parlamentarische Anfragen beim Verteidigungsministerium in Bonn bleiben ebenso unbeantwortet wie beim Bundesnachrichtendienst. Dabei hatte im Juli vergangenen Jahres der amerikanische Präsident Clinton höchstpersönlich die Wirtschaftsspionage als wichtigste Aufgabe der amerikanischen Geheimdienste bezeichnet, auch bei an sich befreundeten Staaten. Der SPD-Abgeordnete im bayerischen Landtag, Peter Paul Gantzer, verweist darauf, daß schon 1990 der US-Geheimdienst NSA erklärt habe, die Bundesrepublik Deutschland müsse als wichtige europäische Wirtschaftsmacht weiterhin kontrolliert werden.

Nach seinen Schätzungen ist der Schaden, den allgemein die Industriespionage der deutschen Wirtschaft zufügt, enorm: jährlich 20 Milliarden Mark.

Im April vergangenen Jahres stellten Gantzer und sein Fraktionskollege Hans W. Loew daher einen Antrag im bayerischen Landtag, in dem sie die Staatsregierung aufforderten, alle Maßnahmen zu ergreifen, um die Industrie vor Wirtschaftsspionage zu schützen.

Mit der Gaiblinger Anlage, so Gantzers Befürchtung, könnte massiv Wirtschaftsspionage gegen VW, BMW, Dasa, Hoechst, MAN betrieben werden. Doch die bayerische Staatsregierung blockte bislang Anfragen zu Gailingen ab: Erkenntnisse über eine deutsche Telefonüberwachung lägen nicht vor. Existiert die großangelegte Wirtschaftsspionage also nur in den Köpfen einiger Abgeordneter und Experten? Schmidt-Eenboom ist vom Gegenteil überzeugt: „Ich halte das Dementi der Amerikaner für absolut unglaubwürdig, weil wir von den funkelektronischen Aufklärungsstationen der Vereinigten Staaten in sehr vielen Ländern definitiv wissen, daß das jeweilige Gastland mit ausspioniert wird.“ — etwa in der Türkei und Großbritannien.

Auch der Bundesnachrichtendienst (BND) soll von den US-Abhöranlagen profitieren. In Gailingen sitze „das BND-Verbindungskommando zur NSA und die sogenannte Fernmeldestelle Süd der Bundeswehr“, so Schmidt-Eenboom. Die BND-Leute dürften freilich das geheimste US-Abhörzentrum auf deutschem Boden nur drei bis vier Stockwerke tief betreten. Die darunter liegenden Etagen seien den Amerikanern vorbehalten. Der BND-Sprecher verweigert zu Gailingen, das intern unter dem Decknamen „Objekt Drehpunkt“ läuft, jede Auskunft. Die Amerikaner beantworten die Frage nach dem BND-Kommando in Gailingen wie folgt: „Die einzige Nicht-US-amerikanische Truppe in Gailingen ist eine Einheit der Bundeswehr.“

Für Schmidt-Eenboom Ausflüchte: Durch Gailingen sei die Verstrickung des libyschen Revolutionsführers Ghaddafi in den furchtbaren Anschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ aufgedeckt worden. 1986 wurde dort ein Funkspruch der Ostberliner Botschaft Libyens mit Tripolis aufgefangen. Anschließend bombardierten amerikanische Bomber die libysche Hauptstadt. Angeblich soll die NSA mit Hilfe der Gailinger Anlage auch den deutschen Industriellen Imhausen als Ausrüster der libyschen Giftgasfabrik Rabta enttarnt haben. Doch all dies, fordert Schmidt-Eenboom, dürfe nicht dazu führen, daß in Deutschland eine Tabuzone am Rande der Bundesstraße B 2 entstehe, die sich jeder Kontrolle entziehe.

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