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Hitlergruß für Mauerkünstler

Gesichter der Großstadt: Günther Schaefer hat sein Bild „Vaterland“ an der East Side Gallery trotz Beschimpfungen zum vierzehnten Mal aufgefrischt  ■ Von Gunnar Leue

Am Exgrenzwall bröckelt nicht nur der Beton, sondern blättern auch die Farben wie an frisch renovierten Häuserwänden zu DDR-Zeiten. Der alte Ostwitz von den vier schlimmsten Gegnern des Sozialismus, welche Frühling, Sommer, Herbst und Winter hießen, kann getrost auf die im Jahr 1992 unter Denkmalschutz gestellte East Side Gallery umgemünzt werden. Europas größte Freiluftkunstmeile wird seit Jahren dem Verfall überlassen. Von den rund 120 zur Wende entstandenen Bildern sind nur noch 73 vorhanden. Seit wenigen Tagen jedoch stechen manche aus der tristen Masse durch ihr ursprüngliches Kolorit hervor. Zwei Dutzend Künstler waren dem Aufruf der beiden Mauermaler Kani Alavi und Thierry Noir gefolgt und zu ihren verblaßten Wendewerken zurückgekehrt, um sie mit Farbe und Pinsel aufzufrischen.

Einer von ihnen ist Günther Schaefer, nur machte er das schon zum vierzehnten Mal. Als erster Mauermaler hatte er 1990 sein Bild „Vaterland“ fertiggestellt. Genau zum 20. März, dem Tag der ersten freien Wahlen in der DDR. Der Multikünstler – Maler, Fotograf, Performer – hatte einen Davidstern auf schwarzrotgoldener Fahne gemalt. Sein persönliches Schlüsselerlebnis dafür nennt Schaefer einen Abschiedsbrief des Großvaters seiner früheren Frau. Der Mann habe als Nazi in einem Konzentrationslager gedient und sei plötzlich damit konfrontiert gewesen, Juden umzubringen. Aus Gewissensnot wählte er den Freitod. Dieser Schock führte bei Günther Schaefer dazu, daß er weiter recherchierte und später eben das Mauerbild schuf. „Als Erinnerung, daß der 9. November nicht nur für den Mauerfall steht, sondern auch für die Pogromnacht 1938.“

Lediglich drei Wochen blieb das Bild unbefleckt, ehe es erstmals mit antisemitischen Parolen beschmiert wurde. Schaefer bekam außerdem Morddrohungen – seine Adresse hatte er ja an der Mauer hinterlassen. Als Zeichen, daß er ganz hinter dem steht, was er sagt und tut. Seit Ostern 1990 hat Schaefer sein Bild nach jeder Besudelung wieder übertüncht. 1995 sogar zusammen mit dem Berliner SPD-Bundestagsabgeordneten Thomas Krüger. Damals allerdings malte er nur den Stern neu, den schwarz-rot-goldenen Rest ließ er aus Protest gegen die vom Bund zugelassene Verrottung des Denkmals weiter bröckeln.

Genutzt hat der Protest nichts, die angeblich zur Restaurierung der East Side Gallery nötigen 23 Millionen Mark wollen weder Bonn noch Berlin geben. Also griffen die Künstler zur Selbsthilfe. Daß sich Günther Schaefer an der Aktion beteiligen würde, war für ihn keine Frage, zumal er seit fünf Jahren in Friedrichshain lebt. Zuvor war der 1954 geborene Franke stets zwischen New York, Frankfurt und Berlin gependelt. Woran er sich in der Stadt gewöhnte, sind die vorbeifahrenden Autofahrer, die ihn bei seinen Ausbesserungen als „Judensau“ oder „Vaterlandsverräter“ beschimpften. Eine beklemmende Reaktion auf seine Arbeit erlebte Schaefer jüngst: „Eine ältere Frau mit ausländischem Akzent erzählte mir, daß sie in Polen von den Juden sehr viel Leid erfuhr und sich deshalb nicht schäme, den Hitlergruß zu machen. Und dazu erhob sie ihren Arm.“ Mindestens genauso oft aber bekommt Schaefer Zuspruch von Passanten.

Ansonsten macht sich der direkt an der innerdeutschen Grenze aufgewachsene 42jährige sein eigenes Geschenk. Schaefer verwirklicht hier sein „perönliches Zehn-Jahres-Projekt“ zur Aufarbeitung seiner Biografie – mit Fotos, Malerei, Collagen. Das ganze soll mit einer Silvesterfete 1999 am Brandeburger Tor enden. 2001 will er sein Gesamtkunstwerk dann präsentieren. Kommerziell gesehen keine übermäßig lukrative Sache, eher eine „finanzielle Achterbahnfahrt“ – doch gerade sein Mauerbild, obwohl nie kommerziell genutzt, brachte ihm schon einige Anerkennung. Dokumentationen über die Geschichte seiner Berliner Wandmalerei waren in Moskau, Haifa und New York zu sehen.

Die jüngste „Vaterland“-Restaurierung dauerte eine gute Woche und kostete Schaefer etwa tausend Mark. Auch für die anderen Mauermaler, über zwanzig beteiligten sich bisher am Bilderputz, gab es weder früher noch an der jetzigen Aktion etwas zu verdienen. Den Reibach durch Postkarten oder T-Shirts mit ihren Motiven machen andere. Doch das soll sich ändern. Die Künstlerinitiative East Side Gallery will einen gemeinnützigen Verein gründen, der Spenden sammeln und den Mißbrauch der Urheberrechte bekämpfen soll. Das Geld soll zur Rettung der Mauergalerie dienen.

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