: Freibrief für Polizisten?
■ Auf dem Polizeirevier in Vegesack hatte ein Polizist Oralverkehr mit einer Festgenommenen. Keine Straftat, findet die Staatsanwaltschaft. Der Polizist kehrte jetzt in den Dienst zurück.
„Die Geschichte hat mein ganzes Leben verändert“, seufzt Rainer W. ins Telefon. Mehr will der Kripo-Beamte nicht sagen. „Diese Geschichte hat mich völlig umgeworfen“, sagt auch Patricia K. (Name von der Redaktion geändert). Doch ansonsten stimmen die Versionen der beiden über ihre gemeinsame Geschichte mit keinem Satz überein. Fest steht nur: Im Juli wurde Patricia K. wegen Zechprellerei auf der Polizeiwache in Vegesack von dem Kripobeamten Rainer W. erkennungsdienstlich behandelt. „Der hat seine Hose runtergerissen und mich gezwungen, ihn mit dem Mund zu befriedigen“, wirft Patricia K. dem Beamten vor. Die Frau habe ihm die Hose heruntergerissen und ihn mit dem Mund befriedigt, behauptet hingegen Rainer W. Er sei zu überrascht gewesen, um zu reagieren. Außerdem sei er im Umgang mit Prostituierten ungeübt, gab er zu Protokoll. Daß glaubte die Staatsanwaltschaft Bremen dem Kripo-Beamten und stellte das Verfahren wegen sexuellen Mißbrauchs unter Ausnutzung einer Amtsstellung ein. Der Beamte, der zunächst vom Dienst suspendiert worden war, ist jetzt in den Polizeidienst zurückgekehrt.
Die Tat könne nicht zweifelsfrei nachgewiesen werden, so die Begründung der Staatsanwaltschaft. Zwar räume der Beschuldigte ein, daß es zum Oral-Verkehr gekommen sei. Seine Amtsstellung habe der Polizist jedoch nicht mißbraucht: Ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen der Frau und dem Beamten konnte die Staatsanwaltschaft nicht feststellen. „Dem Beschuldigten müßte Ihre Beaufsichtigung anvertraut gewesen sein. Dies war hier nicht der Fall. Sie waren aufgrund einer richterlichen Anordnung in einer Zelle des Polizeireviers Vegesack verwahrt. Die Beaufsichtigung oblag den Polizeibeamten der Wache. Der Beschuldigte führte lediglich eine erkennungsdienstliche Behandlung durch. Der Beschuldigte hatte hinsichtlich der Beaufsichtigung tatsächlich keinerlei Aufgaben oder Handlungsmöglichkeiten“, heißt es in der Einstellungsverfügung, die bei dem Polizeirechtler Rolf Gösser ungläubiges Kopfschütteln hervorruft.
„Die Funktion des Polizisten gegenüber der Frau wird völlig heruntergespielt“, ist seine Einschätzung. „Das ist mit Sicherheit zu leichtfertig eingestellt worden. Aus dem Verhältnis von Polizei und Bürger ergibt sich per se ein Abhängigkeitsverhältnis. Selbst wenn die Frau versucht hat, sexuelle Handlungen an dem Polizeibeamten vorzunehmen, ist es mindestens ein Dienstvergehen. Wenn nicht gar eine Straftat. Ein Polizeibeamter muß sich dagegen zur Wehr setzen.“
Dieser Meinung ist auch Manfred Mahr vom Bundesvorstand der Vereinigung kritischer Polizeibeamter. „Das ist ein Schlag ins Gesicht jeder Frau. Die Einstellung heißt doch nichts anderes, als daß die Frauen den Polizeibeamten ausgeliefert sind. Juristische Bewertungen sind immer auch Auslegungssache. Diese Einstellung hört sich sehr konstruiert an.“
Die Staatsanwaltschaft will sich äußern, solange das Verfahren läuft. Sprecherin de Boer verrät nur soviel: „Die Frau hat schon häufiger Männer zu Unrecht beschuldigt, sie vergewaltigt zu haben.“ Und: „Die Frau kommt aus einem schwierigen sozialen Umfeld.“ Und dieses Umfeld ist von der Staatsanwaltschaft genaustens ermittelt worden: Der ehemalige Lebensgefährte von Patricia K. ist von der Polizei vernommen worden. Seine Aussage über das Vorleben des mutmaßlichen Opfers umfaßt mehrere Seiten der Ermittlungsakte. Vor allem über den Alkoholkonsum seiner Ex-Freundin wußte der Mann jede Menge zu sagen. Auch ein Freund, bei dem Patricia K. eine Weile gelebt hat, wurde von der Polizei eingehend befragt.
Die Aussage der Zeugin, die Patricia K. nach der angeblichen Tat in Vegesack aufgelesen hat, nimmt hingegen nur eine halbe Seite ein. Die Frau wurde erst vernommen, nachdem sie die Beamten ausdrücklich gebeten hatte, ihre Aussage machen zu dürfen.
Daß die ehemaligen Lebensgefährten vernommen wurden, findet de Boer „ganz normal“. „Das macht man immer, um die Glaubwürdigkeit zu prüfen.“
Patricia K. hingegen will sich das nicht gefallen lassen. Sie hat gegen die Einstellungsverfü-gung Einspruch eingelegt. „Ich habe nichts zu beschönigen“, gibt sie unumwunden zu. „Ich war Alkoholikerin. Ich habe auch als Prostituierte gearbeitet. Das ist alles richtig. Es stimmt auch, daß ich in meinem Brausebrand oft bei der Polizei angerufen habe, und behauptete vergewaltigt worden zu sein. Ich bin als Kind mißbraucht worden. In der Therapie habe ich inzwischen herausgefunden, daß diese Anrufe dazu dienten, den Mißbrauch irgendwie loszuwerden. Doch auch wenn ich eine Alkoholikerin und Prostituierte war, dieser Mann hat mir Unrecht zugefügt, und ich will, daß er dafür zur Rechenschaft gezogen wird.“
Die Chancen dafür stehen eher schlecht: Derzeit überprüft die Generalstaatsanwaltschaft, ob die Einstellung rechtens war. Wenn die Formalien erfüllt und alle Zeugen gehört worden sind, bestehen kaum Chancen, daß das Verfahren wieder aufgenommen wird. Das gilt auch für den nächstmöglichen Schritt, die Klageerzwingung vor dem Oberlandesgericht.
Nur das Disziplinarverfahren, das unabhängig vom Strafverfahren betrieben wird, könnte für den Kripo-Beamten Konsequenzen haben und ihn seinen Job kosten. „Ich will das erstmal abwarten und dann sehen, wie ich mein Leben wieder auf die Reihe bekomme“, sagt Rainer W. Das geht Patricia K. ähnlich. „Ich kann das nicht auf mir sitzenlassen. Diese Sache ist wichtig für mich. Allein schon, damit ich mein weiteres Leben richtig in Griff kriege.“ kes
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