■ Das 68er Aufklärungsbuch "Zeig mal!" wurde bislang in acht Sprachen übersetzt und eine Million Mal verkauft. Jetzt soll es als Kinderpornographie verboten werden.: "Nicht besser als FKK-Schmuddelheftchen"
Das 68er Aufklärungsbuch „Zeig mal!“ wurde bislang in acht Sprachen übersetzt und eine Million Mal verkauft. Jetzt soll es als Kinderpornographie verboten werden.
„Nicht besser als FKK-Schmuddelheftchen“
Die doppelseitigen Schwarzweißfotos lassen keine Fragen offen. Unbehaarte Kinderpenisse bei der Erektion, fummelnde Teenager, Erwachsene beim Vorspiel und schließlich der Geschlechtsverkehr ab Seite 126. Gerade wegen seiner unverkrampften Offenheit wurden der in Frankfurt lebende amerikanische Fotograf Will McBride und der Wuppertaler Peter-Hammer- Verlag für das Aufklärungsbuch „Zeig mal!“ seit seinem Erscheinen 1974 mit Preisen überhäuft. Damals hatte die 68er-Bewegung ihre Kinder in den Alltag entlassen und ihnen dafür das Rüstzeug mitgegeben. „Zeig mal!“ wurde das Aufklärungsbuch der 70er und 80er Jahre. Mit über einer Million verkaufter Exemplare in acht Sprachen gilt der großformatige Paperbackband inzwischen als Klassiker seines Genres.
Es gelte, so schrieb der habilitierte Sexualpädagoge Hartmut Kentler im Vorwort zu „Zeig mal!“, die kindliche Sexualität wieherzuentdecken, denn die Entsexualisierung der Adenauer-Republik habe vor allem eine Anpassung ans kapitalistische Wirtschaftssystem zum Ziel gehabt.
„Heute wäre es nicht mehr möglich, so ein Buch zu fotografieren“, weiß Will McBride aus eigener Erfahrung, „und man würde es wohl auch anders schreiben. Als wir Anfang der 80er aktuelle Kinderaufnahmen für einen Nachfolgeband machen wollten, hat uns das Frankfurter Jugendamt dringend davon abgeraten. Wir haben deshalb bei den Kinderfotos auf altes Material zurückgegriffen und diese Bilder retuschiert.“ Trotzdem stehen McBrides Aufklärungsfotos nun im Mittelpunkt einer Diffamierungskampagne.
Im Zuge der Kinderpornowelle hat die CDU das Buch als Mittel entdeckt, einen liberalen Verlag und seinen Leiter persönlich zu diskreditieren. Dabei dient ein bereits im Sommer ausgerechnet vom Jugendamt der Stadt Frankfurt am Main angestrengtes Wiederaufnahmeverfahren am Verlagsort Wuppertal zur Stimmungsmache gegen den Verleger Hermann Schulz. Durch die Veröffentlichung des nach wie vor lieferbaren Aufklärungsbuchs gehöre Schulz „wohl zu derjenigen Gruppe von Geschäftsleuten, die unter dem (sic!) Deckmantel der Aufklärung Geschäfte mit Kindersex machen“, behauptete die Junge Union (JU) in einer Pressemitteilung vom 19. September dieses Jahres. Sein Verhalten sei, so der JU-Vorsitzende Christoph Grünberg, „nicht besser als das der Herausgeber von FKK-Schmuddelheftchen. Es sei sogar noch viel schlimmer, denn das Buch ,Zeig mal!‘ vermittelt Kindern den Eindruck, bei Sex von Kindern mit Erwachsenen handele es sich um was ganz Normales.“ Schulz erwägt, gegen diese Formulierungen gerichtlich vorzugehen.
Die Marschrichtung gegen den einst von Johannes Rau als Jugenddienst-Verlag mitbegründeten und später vor allem auf afrikanische und lateinamerikanische Literatur spezialisierten Peter-Hammer-Verlag (zu dessen Autoren Ernesto Cardenal, Tomas Borge oder Gioconda Belli gehören) hatte zuvor die Mutterpartei per Pressemitteilung vorgegeben: „Wenn auf der einen Seite etwa die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Kindergärten und Schulen zu Recht gehalten sind, verstärkt jedem Anzeichen von sexuellem Mißbrauch bis hin zur Konsequenz einer Heimunterbringung betroffener Kinder nachzugehen, auf der anderen Seite derartige Darstellungen aber nach wie vor toleriert und als pädagogisches Mittel akzeptiert werden, handelt es sich dabei um einen Widerspruch, den es aufzulösen gilt.“
Die Auseinandersetzung mit dem Buch hat in der CDU bereits Tradition. Schon kurz nach Erscheinen stellte 1974 ein Parlamentarier bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) Antrag auf Indizierung. Der Versuch, den uneingeschränkten Verkauf des Buches zu verhindern, scheiterte damals unter anderem an zwei unabhängigen Gutachten. Weil inzwischen angeblich neue Erkenntnisse vorlägen, hat das Jugendamt der Stadt Frankfurt nun die Wiederaufnahme des Prüfverfahrens beantragt. „Aus unserer Sicht sind die Fotos pornographisch“, so die Begründung von Egon Lorenz, dem Leiter der Behörde. „Im Buch ist das erigierte Geschlechtsteil eines Kindes zu sehen.“
„Natürlich ist da ein nackter Penis“, weiß auch Florian Kurz, „das war meiner.“ Als Kinder sind Kurz, der heute als Diplomingenieur in Nürnberg lebt, und seine Schwester Stefanie auf einigen Fotografien im Buch zu sehen. „Wir waren damals, Ende der Sechziger, eine Gruppe von befreundeten Kindern. Unsere Eltern kannten Will McBride, und die Aufnahmen, die er von uns gemacht hat, waren eine ganz selbstverständliche Sache, die Spaß gemacht hat. Wer keine Lust hatte herumzutoben, saß einfach in der Ecke oder wurde nach Hause gebracht. Mit Druck hatte das rein gar nichts zu tun. Wer jetzt behauptet, diese Aufnahmen seien Kinderpornographie, scheint nichts mehr für normal halten zu können.“
„Legen Sie diese Fotos mal normalen Eltern vor.“ Der Frankfurter Magistratsoberrat Egon Lorenz sieht die tatsächlichen Beweggründe seiner Behörde, das Aufklärungsbuch zensieren zu lassen, gerade in dessen selbstverständlichem Umgang mit Sexualität: „Das Buch ist dazu geeignet, die sittliche Grundhaltung in der Gesellschaft so anzulegen, daß sie fehlgeleitet ist. Da werden Minderjährige gezeigt, die Erwachsenen beim Sex zusehen. Wenn Kinder sowas ständig sehen, halten sie es irgendwann auch für normal, Erwachsenen am Geschlechtsteil herumzuspielen. Deshalb sollte das Buch nicht mehr öffentlich erhältlich sein. Wenn Eltern es zu Hause zeigen, ist das etwas anderes.“
Ein Indizierungsverfahren ist auch gegen den 1988 im Verlag Beltz & Gelberg erschienenen, mit Themen wie Homosexualität und Aids vor allem an Jugendliche gerichteten Nachfolgeband „Zeig mal mehr!“ in Vorbereitung, ohne daß der Verlag darüber informiert wurde.
„Ich stehe nach wie vor hinter dem Buch. Es war auch mein Beitrag zu 68, zur Anti-Vietnam-Bewegung“, entgegnet Will McBride. „Wenn die Kinder schon früh lernen, sich gegenseitig zu mögen und zu schätzen, war unsere Überlegung, dann haben wir eine friedliche Welt. Pornographie soll erregen, das Buch macht aber genau das Gegenteil: die Fotografie ist cool und fast steril. Meine Anwälte haben mir allerdings gesagt, ich könne mich juristisch nicht wehren und müsse den Ausgang des Verfahrens abwarten.“
Wann über den Frankfurter Indizierungsantrag entschieden wird, ist nach Angaben der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften noch völlig offen. Doch schon jetzt hat sich das Jugendamt am Verlagsort Wuppertal von den massiven Unterstellungen der Christdemokraten bereits einschüchtern lassen. In der Antwort auf die Anfrage der CDU-Abgeordneten Claudia Langenfeld im Rat der Stadt heißt es: „Im übrigen wird seitens des Jugendamtes die Empfehlung herausgegeben, das Buch „Zeig mal!“ nicht beziehungsweise nicht mehr in Einrichtungen der Jugendhilfe, Schulen, Tageseinrichtungen für Kinder etc. einzusetzen.“ Stefan Koldehoff
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