Wir lassen lesen: Warme Sporttage
■ Eine witzige und hintergründige Dokumentation zu den 4. Eurogames
„Sport macht häßlich, krank und in ungünstigen Fällen sogar tot.“ Nein, dieser apodiktische Satz der Sprachwissenschaftlerin und Cartoonistin Claudia Lange stammt nicht etwa aus dem Buch „Sport ist Mord. Texte zur Abwehr körperlicher Betätigung“, das soeben im Leipziger Reclam Verlag erschienen ist. Vielmehr war die 4. lesbisch-schwule Europa-Olympiade „Eurogames“ vor drei Monaten in Berlin Anlaß für den Querverlag, eine Dokumentation zu jenem schweißtreibenden Großereignis (mit immerhin rekordverdächtigen 3.400 Teilnehmerinnen und Teilnehmern) herauszubringen.
Daraus geworden ist ein knapp 130 Seiten starkes Werk mit Texten von über 20 mehr oder weniger selbst beteiligten Autorinnen und Autoren. Mit den Sportjournalisten Silke Buttgereit und Michael Groneberg hat sich der kleine Berliner Verlag Leute vom Fach an Land gezogen, die der Dokumentierung eines „weiteren Meilensteins der Emanzipationsbewegung von Lesben und Schwulen“ – so die jubelnde Umschreibung der warmen Sporttage im Vorwort –, ein tragfähiges journalistisches Konzept abzuringen vermochten: eine Mischung aus witzigen und hintergründigen Texten, Grußworten, Wettkampfergebnissen, Interviews und vielen Fotos.
In 17 Disziplinen wurden Wettkämpfe ausgetragen, darunter auch so exotische wie im Cheerleading und Softball. Der eine oder andere Rekord blieb da nicht aus: Allein Ulrike Folkerts, hauptberuflich ARD- Tatort-Kommissarin, heimste im Schwimmen drei Gold- und eine Silbermedaille ein, darüber hinaus schaffte sie einen neuen lesbischen Rekord über 50 Meter Brust in ihrer Altersklasse.
Buttgereit betont, daß Homosport durchaus auch politisch sei. „Lesbensport hat sich lange Jahre unter anderen Vorzeichen und denkbar weit entfernt vom schwulen oder lesbisch-schwulen Sport entwickelt. Und er war von vorneherein von vielen politischen Diskussionen um eigene Strukturen, um Sexismus und die Haltung zum Leistungssport begleitet.“ Constanze Ohms weist auf die Bedeutung feministischer, lesbischer und schwuler Kampfkunstvereine hin, und Urs Fankhauser reflektiert Unterschiede in der Diskriminierung lesbischer Sportlerinnen und schwuler Sportler (nicht nur) in der Schweiz. Xaver Milz geht auf die gesellschaftlichen Bedingungen ein, die Lesben- und Schwulensport erst ermöglichen: „Seit dem Umbruch“, so schreibt er über die Situation in Osteuropa, „gibt es in den Augen vieler Homosexueller noch dringendere Probleme zur Zeit – wie die zunehmende Arbeitslosigkeit –, als sich um Körperkultur zu kümmern.“
Ob der europäische Homosport in Zukunft eine Angelegenheit reicher Staaten bleiben wird und ob er sich in Richtung Profi-Sport entwickelt, wird sich zeigen. Wie wichtig Veranstaltungen wie die „Eurogames“ zum Abbau von Vorurteilen sind, mag eine Meldung von den Olympischen Spielen in Atlanta verdeutlichen: Dort wurden zwei türkische Sportler nach Hause geschickt, weil sie einen offensichtlich gutaussehenden Wachmann des Olympischen Dorfs zum spontanen Training ins Schlafzimmer einluden.
Auch wenn immer wieder darauf hingewiesen wird, daß es natürlich um Sport und nicht um ausgelassene Orgien unter der Dusche geht, wäre ein derartiger Flirt bei den Eurogames wahrscheinlich kaum bemerkt worden. Manch einen läßt selbst diese offene Atmosphäre kalt. Die im Buch interviewte männliche Diseuse Georgette Dee antwortete, gefragt, ob sie denn Sport treibe, nicht unsympathisch: „Ich ficke lieber zwei Stunden durch, bis ich nicht mehr sprechen kann.“
Die regen Eurogames-Aktivitäten scheinen dennoch – zumindest vereinzelt – Wirkung hinterlassen zu haben. Claudia Lange ist inzwischen fest entschlossen, „trotz frühkindlichen Sporttraumas“ im Jahr 2030 die Tour de France der lesbischen Seniorinnen per Mountainbike zu gewinnen. Na dann: Hals und Beinbruch! Dirk Ruder
Silke Buttgereit/Michael Groneberg (Hg.): „Eurogames IV 1996. Die Dokumentation.“ Querverlag, Berlin 1996, 127 Seiten, 44 DM
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