The Coming out of Hollywood

■ „The Celluloid Closet“ thematisiert die Homosexualität im amerikanischen Film

Sie waren lächerlich, erbärmlich oder monströs – die Homosexuellen im Mainstream-Kino von Hollywood. In Komödien waren effiminierte Männer (die sogenannten Sissys) immer für einen billigen Lacher gut. In Melodramen litten Schwule und Lesben furchtbar unter ihrer „Abartigkeit“ und hängten sich meist im letzten Akt auf. In Thrillern kennt man sie als besonders brutale TäterInnen, deren „Perversität“ dem Publikum noch einen extra Kick gab, und die beim Showdown vom Helden besonders lustvoll abgeschossen wurden.

Diese Klischeebilder von Schwulen und Lesben sind noch nie so konzentriert, entlarvend und brilliant analysiert worden wie in dem Dokumentarfilm „The Celluloid Closet“. Er zeigt Filmausschnitte aus den 100 Jahren Kinogeschichte, und diese werden in Interviewszenen von Filmemachern und Prominenten wie Tony Curtis, Susan Saradon, Whoopi Goldberg oder Tom Hanks kommentiert, die alle auf unterschiedliche Weise mit diesen Klischees gerungen haben.

Nun wäre solch eine Kritik an den Herrschenden von Hollywood, die offensichtlich eine Minderheit diskriminiert haben, zwar sehr wichtig für die Betroffenen und politisch korrekt. Aber für ZuschauerInnen, die weder schwul noch lesbisch sind, wäre dies kaum abendfüllend. Wirklich interessant ist der Film aber auch für sie, wenn er den Gegenangriff dokumentiert. Zum einen wird da beschrieben, wie Filmemacher an der Zensur vorbei homosexuelle Inhalte und Bilder in den Subtext der Filme schmuggelten. Andererseits beschreiben Schwule und Lesben, daß sie die Filme ganz anders ansehen, einen speziellen Sinn für die versteckten Botschaften entwickeln, und wie für sie oft eine Szene, ein Kleidungsstück oder eine Geste eine Bedeutung gewinnen, die kein Uneingeweihter vermuten würde.

Auf dieser Ebene wird „Celluloid Closet“ zu einer Lektion im genauen Hinsehen. Ausgerechnet Doris Day wirkt in einer Hosenrolle wie eine Vorreiterin des lesbischen Kinos. In Howard Hawks „Red River“ spielen Montgomery Clift und John Ireland so anzüglich mit ihren Colts, daß man es kaum noch zweideutig nennen kann. Und sogar Ben Hur hat in dem Monumentalschinken aus den 50er Jahren eine Liebesbeziehung zu einem römischen Wagenlenker. Nur der homophobe Charlton Heston durfte auf keinen Fall erfahren, was er da überhaupt spielte – so jedenfalls erzählt es der Drehbuchautor Gore Vidal in einer der vielen schönen Anekdoten dieses Films.

Dieses subversive Filmemachen und -sehen feiert „Celluloid Closet“ mit viel Witz und einer Vielzahl von Filmbeispielen, die immer mit perfektem Timing auf den Effekt hin geschnittenen sind. Die wenigen Gegenbeispiele für ein unzensiertes Hollywoodkino sind Marlene Dietrich mit Frack und Zylinder in „Marokko“, der berühmte Schluß von „Some Like it Hot“, und „Cabaret“ als der erste Film, in dem Homosexualität offen und positiv dargestellt wurde. Aus den letzten Jahren kommen Filme wie „Philadelphia“, „The Wedding Banquet“ oder „Thelma & Louise“ dazu. Aber auch vor wenigen Jahren wurde noch die eindeutig lesbische Beziehung der beiden Protagonistinnen in dem Roman „Grüne Tomaten“ einfach aus der Verfilmung herausgeworfen. Hier wird deutlich, daß Hollywood sein Coming out immer noch nicht ganz gemeistert hat.

Wilfried Hippen Kino 46, Sa. 18.30 Uhr, So.-Di., 20.30 Uhr