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"Ich werfe Wahrheitsanker aus"

■ Hätte Schleyer gerettet werden können, und hatten die Russen in Mogadischu ihre Hand im Spiel? Heinrich Breloer über seinen Film "Das Todesspiel" und die Ergebnisse seiner Recherche

taz: Herr Breloer, sind für Sie die Ereignisse zwischen der Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer, der Erstürmung der entführten Lufthansa-Maschine in Mogadischu, den Toten in Stammheim und der Ermordung Schleyers restlos geklärt?

Heinrich Breloer: Nein, die Vorgänge sind nicht in allen Details geklärt, überhaupt nicht.

Wie geht ein Dokumentarist damit um?

Indem er versucht, 20 Jahre später in dieses Labyrinth ein paar Wahrheitsanker zu werfen. Jetzt ist der erste und letzte Zeitpunkt, noch einmal einzugreifen. Der erste, weil heute einige Leute aus der RAF bereit sind zu sprechen – und der letzte, weil wir die Gelegenheit haben, die Generation der Väter, die der RAF gegenüberstand, noch lebend befragen zu können. Wie den früheren Kanzler Helmut Schmidt oder den ehemaligen BKA-Chef Horst Herold.

Sie haben für Ihr Projekt über ein Jahr lang recherchiert und ca. 50 Zeitzeugen befragt. Können Sie heute die Motive der RAF auf der einen und die des Staates auf der anderen Seite nachvollziehen?

Ich kann den Zorn dieser Generation verstehen. Ich kann den Zorn eines Andreas Baader verstehen. Es war aber nicht so, daß es überhaupt keine Angebote von Seiten der Gesellschaft gegeben hätte. Aber die RAF hatte sich in einen Größenwahn verrannt, die Welt erlösen zu wollen. Ein Wahn, an dem auch ihre Väter zugrunde gegangen waren. Sie wollten soweit wie möglich weg von den Vätern – und sind ihnen plötzlich in ihrer eigenen Überschätzung so nahe gewesen. Allerdings hatte die RAF bewiesen, daß dieses System verletzbar ist, wenn man entschlossen handelt.

Was hat Sie bei Ihren Recherchen am meisten beeindruckt?

Interessant fand ich den Blick vom damaligen Regierungssprecher Klaus Bölling, mit dem Helmut Schmidt im nachhinein auch überhaupt nicht einverstanden ist. Während Bölling sagt, daß man damals etwas hysterisch reagiert hat, macht Helmut Schmidt klar, daß er Angst vor den Rechten haben mußte. Denn die waren bereit, den Konflikt mit der RAF ganz anders zu lösen. Hätte Schmidt Gefangene freigelassen, die dann weitergemordet hätten, wäre das für die SPD eine ganz verheerende Geschichte gewesen.

Im Krisenstab der Bundesregierung soll während der Entführung diskutiert worden sein, einzelne Gefangene zu erschießen, um die RAF zur Aufgabe zu zwingen. Entsprechende Überlegungen werden dem bayerischen Ministerpräsidenten Strauß zugeschrieben. Das ist ein schwieriger Punkt bei den Vorarbeiten gewesen, weil die Mitschriften aus dem Krisenstab unter Verschluß liegen. Die werden erst in zehn Jahren freigegeben. Ob Strauß sinngemäß gesagt hat, man müsse das Kriegs- und damit auch Standrecht in Anspruch nehmen, wenn die RAF für sich in Anspruch nimmt, eine Bürgerkriegspartei zu sein – das ist schwer zu ermitteln. Strauß hat das später dementiert. Es muß diese Diskussion aber gegeben haben.

Nach der gelungenen Erstürmung des entführten Flugzeugs in Mogadischu sind wenig später die Stammheimer Gefangenen Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Karl Raspe in ihren Zellen tot aufgefunden worden. Über Jahre hat die Frage nicht nur linksradikale Kreise beschäftigt, ob es sich um Selbstmord oder um Mord gehandelt hat.

Woran glauben Sie denn?

Seit den Aussagen der in der DDR untergekommenen früheren RAF-Mitglieder spricht alles für Selbstmord.

Das glaube ich auch. Ich habe mit den Menschen gesprochen, die sie in Stammheim jahrelang beobachtet und dann tot aufgefunden haben. Ich denke, daß der Untersuchungsausschuß, der die Todesfälle untersucht hat, der Wahrheit schon sehr nahe gekommen ist. Es bleiben aber Widersprüche.

Bis heute ist auch das Zusammenspiel zwischen den Entführern Schleyers, den RAF-Gefangenen in Stammheim und den Mitgliedern der palästinensischen Gruppe PFLP, die das Flugzeug kaperten, nicht ganz aufgeklärt.

Es gab die Alternative, wie in Stockholm noch einmal eine Botschaft zu besetzen oder ein Flugzeug zu entführen. Ich stelle es mir so vor: In den Wochen der Schleyer-Entführung rotierten sämtliche Geheimdienste. Ost und West wollten nicht, daß der Sozialdemokrat Schmidt über die Entführung stürzt. Ich kann mir vorstellen, daß die Sowjetunion, die die PFLP ja ausgerüstet hatte, über dieses Kommando den ersten Weg in diese Richtung legen wollte. Wenn es stimmt, was auch die einzige Überlebende der Entführer, Souhaila Andrawes, erzählt, dann wollten die Flugzeugentführer ihre Geiseln schon nach der Zwischenlandung in Aden in ein Wüstencamp bringen. Aber warum konnten sie an diesem Tag nicht aussteigen? Der Außenminister der DDR, Fischer, soll vor Ort gewesen sein und dafür gesorgt haben, daß die Entführer bei den befreundeten Jemeniten abgewiesen wurden und nach Mogadischu weiterfliegen mußten, wo schon die GSG9 wartete. Das kann eine Falle gewesen sein, um die Sache irgendwie zu einem Ende zu bringen. Aber wenn Sie das Helmut Schmidt sagen, wird er sehr ärgerlich. Er will nicht glauben, daß ihm da möglicherweise jemand von der anderen Seite des Eisernen Vorhangs geholfen hat.

Es hätte auch alles ganz anders kommen können. Unmittelbar nach der Entführung sollen zwei Polizisten das Versteck der Entführer entdeckt haben. Ihre Meldung darüber soll dann verlorengegangen sein.

Ich habe mit den beiden Polizisten gesprochen. Einer von ihnen war in Liplar bei Köln ganze zwanzig Zentimeter weg von Schleyer. Mit dem Ohr. Genau dort, wo die beiden standen, saß Schleyer hinter der Wand in einem Schrank versteckt. Sie müssen sich vorstellen, Liplar ist ein kleiner Ort mit zwei Hochhäusern. Die Polizeibeamten kannten alle Leute und fragten den Hausmeister des einen Hochhauses, ob ihm was Verdächtiges aufgefallen sei. Anschließend gehen sie noch zu dessen Schwiegermutter, und die erzählt ihnen, daß da drüben so eine Frau in den dritten Stock gezogen ist, die beim Zahlen ein ganzes Bündel Geldscheine aus der Handtasche gezogen hat. Da sagt sich der eine Polizist, das sind sie. Alle Kriterien stimmen: anonyme Wohnung, Barzahlung, Telefonanschluß, Tiefgarage, direkter Zugang zur Autobahn. Er schreibt das auf, geht auf die Wache. Die Meldung wird über den Fernschreiber weitergegeben. Und jetzt kommt das große Rätsel. Wo ist dieses Fernschreiben geblieben? Noch am gleichen Abend fährt der Polizist mit seiner Frau am Haus vorbei und sagt ihr: „Da oben sitzen sie.“ Die beiden Polizisten haben sich gedacht, daß das BKA das alles abklären wird. Aber so ganz sicher waren sie sich nicht. Einer von ihnen ist mit einem Kollegen auf den Flur und hat an der Wand gehorcht. Die beiden sollten eine Kräfteeinschätzung für die Erstürmung der Wohnung machen. Sie haben auch nach einem Wagen in der Tiefgarage geschaut und überlegt, wie das Haus evakuiert werden könnte. Sie hatten sogar überlegt, daß für diesen Fall ein Brand simuliert werden könnte. Der Name der Mieterin, das stellte sich später heraus, war der einer Frau, die im BKA als „RAF-Kontakt“ geführt wurde. Wäre das Fernschreiben im BKA angekommen, die GSG9 hätte wohl keine halbe Stunde später das Haus gestürmt. Interview: Wolfgang Gast

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