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Giftmüll-Mafia im Knast deponiert

■ Sieben Festnahmen nach Großrazzia: Kriminelle Vereinigung soll jahrelang Sondermüll als Wertstoffe weiterverkauft oder illegal entsorgt haben. Staatsanwaltschaft befürchtet größten deutschen Umweltskandal

Frankfurt/Main (taz) – Nach der größten Razzia gegen organisierte Umweltverbrecher in Deutschland sind gestern sieben der acht Hauptverdächtigen in Haft genommen worden. Wie Staatsanwaltschaft und Polizei in Frankfurt gestern mitteilten, wird ihnen die Bildung einer kriminellen Vereinigung, illegale Beseitigung von Sondermüll und zum Teil auch Korruption zur Last gelegt. Ihre Recyclingunternehmen sollen über Jahre hinweg mehrere Millionen Tonnen Giftmüll und Klärschlämme mit gefälschten Papieren in harmloses Altöl und Gartenhumus umdeklariert und dann weiterverkauft oder einfach illegal abgekippt haben.

118 Firmen und Wohnungen in 14 Bundesländern sind seit Donnerstag abend bis in die Nacht zum Freitag hinein von 500 PolizistInnen und zehn Staatsanwälten durchsucht worden. Bis gestern vormittag trugen die Fahnder rund 8.000 Ordner mit Beweismaterial zusammen. Oberstaatsanwalt Rainer Schilling, dessen Behörde der Müll-Mafia seit 1995 auf der Spur ist, nannte das weitverzweigte Firmengeflecht „die organisierte Kriminalität in Reinform“. Den Verdacht, daß auch Beamte von Umweltbehörden mitgemacht hätten oder bestochen worden seien, bestätigte er nicht. Allerdings seien auch in Landratsämtern Unterlagen sichergestellt worden.

„Die haben Wasser zu Wein gemacht“, so Staatsanwältin Andrea von Schreitter- Schwarzenfeld. Und dabei jahrelang, so Kriminalhauptkommissar René Bock vom Umweltdezernat der Frankfurter Polizei, mehr Gewinne als Umsatz erwirtschaftet. Die Festgenommenen werden beschuldigt, eine kriminelle Vereinigung gebildet zu haben, deren Zweck schwere, umweltgefährdende Abfallbeseitigung, Bodenverunreinigung, schwerer Betrug und Steuerhinterziehung gewesen sei. Dabei seien sie gezielt vor allem in den neuen Bundesländern vorgegangen. Nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft ist das Firmennetz nur zur Verschleierung der Straftaten aufgebaut worden.

Die Unternehmen sollen Behörden gegenüber als Aufbereitungsfirmen von Altölen und Giftschlämmen aufgetreten sein. Bei ihren „meist gutgläubigen“ Kunden kassierten sie bis zu 800 Mark pro Kubikmeter Sonderabfall für die Beseitigung. Statt dessen wurde der umdeklariert oder durch Mischen getarnt – zum Beispiel als Altöl, Blumenerde oder Bauschutt. Die so entstandenen Produkte wurden dann, wiederum gewinnträchtig, für 80 Mark pro Tonne weiterverkauft. Andere Lieferungen sollen einfach in Kiesgruben oder auf normale Hausmülldeponien geschüttet worden sein. Der Schaden gehe in eine zweistellige Millionensumme.

Auf diese Weise wurden Anfang 1995 hochgiftige DDR-Altlasten „entsorgt“, die so hoch belastet waren, daß sie sogar von der Sonderabfallverbrennung ausgeschlossen wurden. Der Giftmüll wurde dem Sekundär-Rohstoff-Verwertungs- Zentrum (SVZ) der Chemiestadt Schwarze Pumpe als aufarbeitungsfähiges Altöl untergeschoben, das dafür auch noch bezahlte. Dort seien zwei Firmenmitarbeiter bestochen worden. Sie gehören zu den gestern Verhafteten. Zum Zeitpunkt des Betruges stand die Firma noch unter Aufsicht der Treuhandnachfolgerin BvS. Daß einer der Hauptbeschuldigten, ein 53jähriger Frankfurter Bestattungsunternehmer, auch Sonderabfall in Särgen unter die Erde geschafft habe, konnte die Polizei nicht bestätigen. Das hatte das ARD- Magazin „Panorama“ berichtet. Heide Platen Tagesthema Seite 3

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