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Der tödliche Schutz vor dem Holzwurm

■ Holzschutzmittel: Bis zu 100.000 ostdeutsche Wohnungen wurden zu DDR-Zeiten mit DDT verseucht. Der westdeutsche Holzschutzmittelskandal wird ab heute in Frankfurt erneut vor Gericht aufgerollt

Berlin (taz/dpa) – Der größte Umweltprozeß der deutschen Geschichte geht in die zweite Runde. Im vergangenen Jahr hatte der Bundesgerichtshof das 1993 ergangene Urteil gegen die beiden ehemaligen Manager der Holzschutzfirma Desowag, Kurt Steinberg (71) und Fritz Hagedorn (66), wegen sachlicher und verfahrensrechtlicher Mängel aufgehoben.

Über Jahre hinweg hatten die beiden Manager trotz bekanntermaßen gesundheitsschädigender Wirkung der Wirkstoffe PCP (Pentachlorphenol) und Lindan ihre Holzschutzmittel Xylamon und Xyladecor weiter verkauft. Das Landgericht Frankfurt hatte sie daher zu jeweils einem Jahr Haft auf Bewährung und 120.000 Mark Strafe verurteilt.

Nun müssen die Frankfurter Richter unter anderem klären, wann ein Wirkungszusammenhang zwischen dem Produkt und den gesundheitlichen Beschwerden – Allergien, Depressionen, Kreislauf- und Nervenschäden – als bewiesen gelten kann. Die Zahl der erkrankten Menschen gibt die Interessengemeinschaft der Holzschutzmittelgeschädigten mit etwa 100.000 an. Gespräche zwischen Staatsanwaltschaft, Richtern und den Desowag-Anwälten über einen Entschädigungsfonds in Höhe von zwölf Millionen Mark waren im Frühjahr gescheitert.

Bild am Sonntag deckte nun analog dazu einen ähnlichen Umweltskandal in Ostdeutschland auf. Dort sollen bis 1990 mindestens 50.000 bis 100.000 Altbauwohnungen mit dem Insektengift DDT, das in dem Holzschutzmittel Hylotox enthalten war, verseucht worden sein. Dies sagte Jost Riecke, der Mieterbundbeauftragte für Ostdeutschland, der Zeitung.

Analysen des Berliner Zentrums für Umwelttechnik und Humantoxikologie in Ostberliner Wohnungen hätten erschreckende Belastungswerte ergeben. Während in Westberlin 0,5 Milligramm DDT (Dichlor-Diphenyl-Trichlorethan) pro Kilogramm Staub gemessen wurden, seien es im Osten bis zu drei Gramm gewesen.

DDT wurde in der BRD schon 1972 verboten, da es auch Vögel und Fische vergiftet und sich in Fettgewebe und Muttermilch anreichert. Eine Untersuchung von Totgeborenen in Potsdam vor mehreren Jahren hat ergeben, daß die durchschnittliche Konzentration von DDT in deren Gewebe höher war als im Gewebe von anderen Leichen. Ob ein ursächlicher Zusammenhang besteht, ist jedoch nicht nachgewiesen.

Auf eine finanzielle Entschädigung können die betroffenen Wohnungsinhaber jedenfalls nicht hoffen. Die Herstellerfirma von Hoylotox, die VEB Fettchemie Karl-Marx-Stadt wurde in diesem Frühjahr abgewickelt. lieb

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