: „Wir müssen ein langfristiges, tragfähiges Konzept entwickeln“
■ Kertin Müller, Fraktionssprecherin der Bündnisgrünen, über die Lage in Bosnien und ihre veränderte politische Haltung
taz: Sie werden als die bündnisgrüne Politikerin bezeichnet, die unter dem Eindruck von Reisen nach Bosnien am stärksten ihren bisherigen politischen Kurs verändert hat. Fühlen Sie sich da richtig verstanden?
Kerstin Müller: Zum Teil. Ich bin in der Tat ziemlich betroffen. Was ich jetzt und vor einem halben Jahr in Bosnien gesehen habe, hat bei mir zu einer politischen Entwicklung geführt. Ich bin der Meinung, daß wir einen Diskussionsprozeß in der Partei brauchen – der keinesfalls dazu führen darf, daß man sich der Militärlogik der Bundesregierung unterwirft. Mein zentrales Anliegen ist, daß wir ein langfristiges, tragfähiges Konzept für Bosnien entwickeln.
Sie stimmen jetzt einem Einsatz der Nato nach Ablauf des Ifor- Mandats zu?
Nein. Ich sehe heute einige Argumente tatsächlich anders als früher. Aber jetzt geht es vor alem darum, daß die zivile Implementierung des Dayton-Abkommens im Zentrum aller Bemühungen stehen muß.
Ihre bosnischen Gesprächspartner haben Ihnen gesagt, daß dafür eine weitere militärische Absicherung notwendig sei.
Ich kann das verstehen. Es ist auch notwendig. Aber es ist ebenso notwendig, die Regie dafür von der Nato an die UNO wieder zurückzugeben, vor allem wegen der Aufgaben, die jetzt zu erfüllen sind, wie der Rückführung von Flüchtlingen, der Garantie der Bewegungsfreiheit, der Verfolgung von Kriegsverbrechern. Dazu sagt die Nato: Das sind Polizeiaufgaben, wir sind nicht zuständig. Das ist auch richtig so. Außerdem haben uns viele Gesprächspartner gesagt, daß es nicht nur um ein weiteres Jahr gehen wird. Es geht um fünf bis sechs, vielleicht sogar zehn Jahre. Was passiert, wenn Ifor II zu Ende geht? Wollen wir dann wieder über ein weiteres Jahr diskutieren? Klassischerweise ist für eine solch dauerhaftes Engagement im Sinne von Peace-keeping die UNO zuständig.
Halten Sie es für realistisch, daß die UNO die Aufgaben in Bosnien überhaupt übernehmen könnte?
Ich glaube, sie ist dazu in der Lage, wenn der politische Wille der internationalen Gemeinschaft vorhanden ist. Dann ist es möglich, hier in kurzer Zeit mit einem klassischen Blauhelmeinsatz zu beginnen.
Warum weigert sich Rühe, Truppen zur Verfügung zu stellen?
Die Staaten, die jetzt Ifor machen, sind schuld am Glaubwürdigkeitsverlust der UNO. Es muß darum gehen, diese Glaubwürdigkeit wiederherzustellen. Wenn das nicht geschieht, dann besteht die Gefahr, daß die UNO auf Dauer beschädigt wird. Interview: Bettina Gaus
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen