: Ausgeblendete Vergangenheit
■ Sinti und Roma-Familie soll nach Polen abgeschoben werden / Bremer Innenbehörde blockt Bleiberecht ab / Die Vergangenheit ist kein Thema
agdalena Pachzkowski sitzt neben ihrem Vater am Tisch und weint. Ihre ganze Familie, samt Mutter und ihrer 18jährigen Schwester Jolanta, soll nach Polen abgeschoben werden – dort, wo sie als Roma-Familie schikaniert, diskriminiert und verfolgt wurden. Zehn Jahren wurden sie in der Hansestadt geduldet – doch damit soll jetzt Schluß sein. Ein Bleiberecht für die Paczkowskis lehnt die Bremer Ausländerbehörde kategorisch ab und stößt damit auf harten Widerstand.
Immer wieder hatte ihr Anwalt Volkert Ohm für ein Bleiberecht der Roma-Familie in Bremen gekämpft – und immer wieder gegen die Behörde verloren. Für Ohm nämlich gelten die Paczwkowskis als klarer Härtefall, der nach einer neuen Altfallregelung der Innenministerkonferenz vom April 1996 in Deutschland bleiben darf. Die Familie sei vor dem Stichtag 1. Juli 1990 nach Bremen eingereist, rechtskräftig als Asylbewerber schon 1988 abgelehnt worden. „Solche Familien gelten als Härtefall und dürfen bleiben“, sagt Ohm. „Und diesen Innenminister-Erlaß könnte Bremen ohne Probleme anwenden.“
Das will Innensenator Ralf Borttscheller offenbar nicht. Die Innenbehörde argumentiert mit ganz eigenen Regeln. Die Kriterien für Härtefälle treffen in Bremen nur auf Asylbewerber im laufenden Verfahren zu, erklärt Stefan Luft, Sprecher des Innensenators. Deshalb falle die Familie Paczkowski als abgelehnte Asylbewerber leider nicht darunter. Eine für die Bremer Ausländerbeauftragte Dagmar Lill völlig unverständliche Argumentation. Schließlich sei die Altfallregelung gerade für Fälle wie die Paczkowskis von den Innenministern auf den Weg gebracht worden – um endlich ein Bleiberecht für lange in Deutschland lebende Flüchtlinge zu sichern.
Doch weil die Paczkowskis leider kein Härtefall sind, weist die Ausländerbehörde auch die Bescheinigung eines möglichen Arbeitgebers für Vater Riszard kategorisch zurück. Denn die müßte Paczkowski haben, um in Deutschland bleiben zu dürfen – so sieht es eine Auflage für Altfälle vor: Bleiben darf nur, wer arbeitet und nicht Sozialhilfe bezieht. Ein bisher schwieriges Unterfangen: Denn arbeiten geht nur, wenn auch eine Aufenthaltserlaubnis vorliegt. Doch wer die nicht hat, kann auch nicht arbeiten gehen. „Ein Teufelskreis, der ein Bleiberecht oft unmöglich macht“, erklärt Anwalt Ohm. Deshalb hat Bremen tatsächlich im Oktober 1996 einen neuen Erlaß auf den Weg gebracht, „der bestimmt gut gemeint ist“, weiß die Ausländerbeauftragte Lill. Der sieht eine sechswöchige Aufenthaltserlaubnis vor. In dieser Zeit muß der Betroffene einen Arbeitsplatz nachweisen. „Und das ist schon kurz genug“, so Lill, die von Nordrhein-Westfalen zu berichten weiß: „Die warten ein halbes Jahr und wollen danach noch nicht mal sofort einen positiven Bescheid eines Arbeitgebers auf dem Tisch haben.“ Doch so weit ist Vater Paczkowski gar nicht gekommen: „Auf ihn trifft die Härtefallregelung ja sowieso nicht zu“, wehrt Luft ab.
Doch damit nicht genug: Anwalt Ohm hat immer wieder auch das Ausländergesetz ins Feld geführt. Das sieht ein Bleiberecht aus humanitären Gründen vor. Immerhin werde die Familie Roma auch weiterhin in Polen diskriminiert. Sie sei seit Jahren in Bremen integriert: Tochter Magdalena wird im nächsten Jahr ihren Realschulabschluß machen. Von der „schlimmen Vergangenheit“ der Familie Paczkowski ganz zu schweigen: Ihr Großvater habe im KZ Auschwitz gelitten. „Da trägt Bremen auch eine große politische Verantwortung. Doch die Innenbehörde nutzt selbst solche Ermessensspielräume wie die humanitären Gründe nicht aus“, ärgert sich Anwalt Ohm. „Ausgeblendet“ werde diese politische und ethische Frage, „und das ist eine wirklich bedauernswerte Tendenz in der Verwaltung.“ Völlig mechanistisch würde die sich an selbstgebastelte Vorschriften halten.
Doch das Innenressort kann diese Aufregung nicht verstehen. „Daß die jetzt noch die Geschichte mit dem Großvater anführen“, findet Sprecher Luft, „ist für uns völlig unerklärlich“. Mit einem Eilantrag und einer Klage vorm Verwaltungsgericht will Anwalt Ohm jetzt Innensenator Borttscheller ins „Gewissen reden“. Dafür, sagt Tochter Magdalena ruhig, „sind wir sehr dankbar.“ kat
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