Hysterie aus Angst vor Amtsverlust

Stichwahl um den Stuttgarter Oberbürgermeisterposten: Der Grüne Rezzo Schlauch liegt gut im Rennen. Die abgeschlagene SPD gibt sich repräsentativ – zerstritten und deprimiert  ■ Aus Stuttgart Philipp Maußhardt

Wenn man Kindern ihr Spielzeug nimmt, werden sie böse. Ähnlich reagieren derzeit die Christdemokraten in Stuttgart, wo am Sonntag die Entscheidung über die Wahl des Oberbürgermeisters fällt. 22 Jahre lang regierte Manfred Rommel (CDU) die Stadt, nun droht sie in grüne Hände zu fallen. Rezzo Schlauch, Bundestagsabgeordneter der Grünen, hat die Chance, den Kandidaten der CDU, Wolfgang Schuster, zu schlagen.

Im ersten Wahlgang vor knapp drei Wochen lag er nur fünf Prozent hinter dem CDU-Kandidaten. Laut Meinungsforschern werden Schlauch und Schuster den zweiten und entscheidenden Urnengang unter sich ausmachen. Die SPD geht – allerdings aussichtslos – gleich mit zwei Kandidaten ins Rennen: Ihre Wähler spielen nur noch die Rolle der Mehrheitsbeschaffer.

Und die CDU hat tatsächlich Angst vor einem rot-grünen Wählerbündnis – die hysterischen Slogans auf den Wahlplakaten beweisen es: „Stuttgart, paß' auf dich auf“, steht auf ihnen zu lesen, oder gar die Behauptung: „Ihr Arbeitsplatz würde Schuster wählen.“ Schlauch fürchten die Konservativen mehr als jeden Sozialdemokraten in der Stadt: Dem engagierten Grünen gelang nicht zuletzt wegen seiner bürgerlichen Reputation ein tiefer Einbruch ins konservativ-liberale Wählerspektrum.

Daß allerdings nun ausgerechnet Stuttgarts Polizeipräsident Volker Haas ihm auch noch für dessen präventive Drogenpolitik Beifall klatschte, wurmte die Christdemokraten derart, daß sie den obersten Polizisten zum Rapport ins Innenministerium bestellten. Dort sollen Haas die Leviten gelesen werden, obwohl Innenminister Thomas Schäuble bislang nichts daran auszusetzen hatte, daß andere Polizeifunktionäre auf Wahlkampfveranstaltungen der CDU auftraten.

Etwas verwundert nahmen die Stuttgarter diese Woche zur Kenntnis, daß Rezzo Schlauch noch von ganz unerwarteter Seite Schützenhilfe bekam. Vorgestern reiste, eigens um „meinen lieben Rezzo“ zu unterstützen, der Bürgermeister von Palermo an. Leoluca Orlando, in seinem Land als einer der eifrigsten Mafiajäger bekannt, sprach im Stuttgarter „Alten Schützenhaus“ unter scharfen Sicherheitsvorkehrungen den Schwaben und Schlauch Mut zu: „Die Mafia ist überall, aber man kann sie besiegen.“

Doch Orlando, einst Mitglied der italienischen Christdemokraten und danach zu den Grünen konvertiert, war nicht der einzige Gast aus Italien, der im Stuttgarter Oberbürgermeisterwahlkampf unterstützend mitmischte. Zuvor schon war Antonio Bassolino, Bürgermeister Neapels, dem Stuttgarter SPD-Bewerber Brechtken zur Seite gesprungen. Immerhin sind bei der Wahl am 10. November fast 10.000 EU-Bürger wahlberechtigt. Wolfgang Schuster von der CDU dagegen hatte nur Helmut Kohl als Fürsprecher.

In einer von der Stuttgarter Zeitung diese Woche veröffentlichten Infratest-Umfrage lag der Abstand zwischen Schuster und Schlauch mit 41 zu 36 Prozent noch bei fünf Prozent zugunsten des CDU-Kandidaten. Den Ausschlag könnten nun jene Wähler geben, die bislang noch auf den aussichtslosen SPD- Bewerber Rainer Brechtken (Umfrage: zwölf Prozent) und den Pforzheimer Oberbürgermeister Joachim Becker (Umfrage: sechs Prozent) setzen.

Die Veröffentlichung dieser für die SPD deprimierenden Prognosen hält man bei den Sozialdemokraten für unlautere Wahlbeeinflussung durch die tonangebende Zeitung am Ort. Trotzig kündigte der enttäuschte Brechtken an, nun erst recht nicht seine Kandidatur zugunsten Schlauchs zurückzuziehen.

Geschadet hat den Sozialdemokraten vor allem der Quereinsteiger Becker. Selbst Sozialdemokrat, liegt der amtierende Oberbürgermeister Pforzheims seit langem mit seiner Partei im Streit. Seine Kandidatur für den zweiten Wahlgang hat ihm nun ein Parteiausschlußverfahren eingebracht. Becker quittierte die Drohung kühl mit den Worten: „Wer wegen Fritz Erler in die SPD eintrat, wird nicht wegen Ulrich Maurer austreten.“

Ulrich Maurer ist Alleinherrscher der baden-württembergischen SPD und trägt laut Kritikern Mitschuld am Niedergang seiner Partei in Baden-Württemberg. Sollte seine SPD am Sonntag mit ihrem Resultat unter die Erwähnungsgrenze fallen, droht auch ihm eine Diskussion um seine Position.

Doch auch bei den Christdemokraten ist der innerparteiliche Streit nur bis zum Wahltag verschoben: Mit einem derart blassen Bewerber ins Rennen um die Rommel-Nachfolge zu gehen, lasten viele Mitglieder dem mächtigen CDU-Kreisvorsitzenden Gerhard Mayer-Vorfelder an. Er verhinderte mit dem CDU-Fraktionschef im Landtag, Günther Oettinger, die Bewerbung populärer Christdemokraten wie dem Wirtschaftsförderer der Stadt Stuttgart, Wolfgang Häfele, oder dem Oberbürgermeister der Stadt Singen, Andreas Renner, einem Verfechter grün-schwarzer Politik.