: Herumhantieren an der Verfassung
■ Der Senat überlegt, ob er die Bezirksreform mit einfacher statt mit Zweidrittelmehrheit durchsetzen kann
Im Senat gibt es Pläne, die Bezirksgebietsreform mit einfacher Mehrheit durchs Abgeordnetenhaus zu bringen. Nach Informationen der taz vertreten sowohl Innenverwaltung als auch Senatskanzlei die Rechtsauffassung, daß die Zahl der Bezirke ohne eine Verfassungsänderung von 23 auf 12 gebracht werden könne. Offiziell liegt zwar noch keine abschließende Meinung vor. Aber eine Bezirksreform durch einfaches Gesetz würde der Koalition viel Verdruß ersparen: Ihre verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit haben CDU und SPD in dieser Frage bereits verloren.
Die Mehrheiten hängen an einer spitzfindigen juristischen Formel. „Berlin umfaßt die Bezirke Mitte, Tiergarten ...“, heißt es in der neuen Verfassung von Berlin. Einige JuristInnen interpretieren das Wörtchen „umfaßt“ neuerdings als unverbindliche Beschreibung. Artikel 4, der alle 23 Bezirke aufzählt, müsse bei einer Bezirksreform gar nicht angestastet werden. Das Eindampfen der Berlinischen Kommunen auf 12 könne per einfachem Gesetz erfolgen.
Die langjährigen Kommentatoren der Berliner Verfassung, Gero Pfennig und Manfred Neumann, nennen die neue Variante eine „ulkige Sache.“ „Es bedarf eines verfassungsändernden Gesetzes“, betonte der Rechtsanwalt Neumann, der gerade am Kommentar für die erst 1995 geänderte Verfassung schreibt. Für Neumann ist es gleich, ob die Zahl der Bezirke genannt wird (wie in der alten Verfassung) oder ob sie einzeln aufgezählt werden. Eine Verfassungsänderung sei auf jeden Fall nötig.
Die Grünenpolitikerin Renate Künast vermutet, „daß die Große Koalition an der Verfassung herumhantiert, um die Gebietsreform unter Ausschluß der Bezirke durchzuziehen“. Künast verweist auf das entscheidende Koalitionsproblem bei einer Verfassungsänderung: Die Bögers und Landowskys könnten potentielle Abweichler mit Fraktionsdisziplin kaum bei der Stange halten – denn Wohl und Wehe der Direktkandidaten hängen von den Kreisversammlungen der beiden Volksparteien ab. Kreisparteigrenzen und Bezirksgrenzen sind identisch.
Die SPD-Fraktion versicherte gestern, ein „so wichtiges Reformprojekt nicht durch irgendwelche Tricks“ anzustreben. Aber es müsse, so Sprecher Peter Stadtmüller, alles noch verfassungsrechtlich geprüft werden. Auch die Innenverwaltung hält sich bedeckt, obwohl ihr Entwurf bald vorgelegt werden soll. Christian Füller
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