: Der Runde Tisch als Arbeitsplatz
Tocotronic der Kunst: „Team Compendium“, ein Reader über Künstleraktivitäten der neunziger Jahre, versteht sich als eine „Plattform für Unterhaltung und Zusammenarbeit“ – ohne den Anschluß an Markt oder Galerien ■ Von Jochen Becker
„Wenn die Kunstgeschichte immer wieder neu sortiert werden muß, sind Spuren gefordert“, kündigt eine redaktionelle Notiz in Sachen aktueller Kunstproduktion an. Der mit schillernder Namensvielfalt ausgestattete Reader „Team Compendium: Selfmade Matches, Selbstorganisation im Bereich Kunst“ versammelt deshalb nicht nur eine Reihe von RedakteurInnen (Rita Baukrowitz, Stephan Dillemuth, Thaddäus Hüppi, Gunter Reski) und Herausgeberinnen (Rita Baukrowitz, Karin Günther), sondern wird zudem von zahlreichen AutorInnen, Gruppierungen und KritikerInnen getragen.
Dem Buch liegt die Veranstaltungsreihe „Sei dabei! Hamburger Woche der Bildenden Kunst“ im Spätsommer 1994 zugrunde. Die KünstlerInneninitiative war nicht zuletzt eine Reaktion auf die historisch verankerte Projektübersicht „dagegen – dabei“ von Bettina Sefkow und Ulrich Dörrie, die zum Jahreswechsel 1994/95 mehrere Monate lang im Hamburger Kunstverein gastierte. Während „Sei dabei!“ verstreute künstlerische Aktivitäten aus dem akademischen und freundschaftlich verbundenen Umfeld bündelte, suchte „dagegen – dabei“ die Entwicklung kooperativer Projekte seit Beginn der achtziger Jahre darzulegen, wobei der Akzent auf soziokultureller und alltagsbezogener Kunstpraxis lag.
Beide Hamburger Initiativen hatten sich zum Ziel gemacht, der eingespielten Geschichtsschreibung handelbarer Objekte-Kunst sowohl eine notwendige Ergänzung entgegenzuhalten, als auch der Kunstgeschichte mittels eigener Texte auf die Sprünge zu helfen. Denn die Spuren peripher gehandelter Projekte und Initiativen werden von kaum einer Galerie gewinnbringend gehortet, und auch die Kunstkritik tut sich schwer, anhand der als „Grauware“ zirkulierenden Flyer und Tapes, Poster und Broschüren, Erzählungen und Erlebnisse, diesen Teil der Geschichte in den Griff zu kriegen.
Während die Dokumentation von „dagegen – dabei“ weiterhin auf sich warten läßt, liegt die um „befreundete Initiativen und Künstler aus anderen Städten“ stark ergänzte Dokumentation von „Sei dabei!“ nunmehr vor. Die Gruppenarbeit im Umfeld des „Team Compendium“ ist zumeist der örtlichen Kunstakademie entsprungen – „zarte Pflänzchen [...], von denen man nicht weiß, ob sie den nächsten Winter überleben“.
Kunst ist maximal eine Nebeneinnahmequelle
Der von Hamburgs Institutionsleitern zugestandene Etat für die „Wochen der bildenden Kunst“ hatte mit seinen zirka 200.000 Mark die Kooperation lokaler KünstlerInnen-Initiativen beschleunigt, „weil die Gruppen sich eigentlich nur des Geldes wegen zusammenfanden“, da „Kunst- Verkäufe und Parties (allenfalls) Nebeneinnahmequellen“ sind. Gefördert wurde, was „über den Arbeitsplatz Atelier hinausreicht“, genau genommen also nicht „Post- Studio-art“ ist, weil es das Atelier weiterhin in der Rückhand hat. Für die Hamburger Präsentation wurden allerdings sogenannte „kunstferne Orte“ (Parkplatz, Teehaus, Kiosk) und Medien (Offener TV- Kanal, Internet, Infotisch) genutzt.
Der Doppelcharakter von „Team Compendium“ als „Bestandsaufnahme künstlerischer Automobilisierung“ (Rita Baukrowitz) und „schleichende Alphabetisierungskampagne in Künstlerkreisen“ (Gunter Reski) durchzieht den gesamten Reader. Selbstdesignte Projektdarstellungen („HomePages“) wechseln mit Erinnerungsstammtischen, Umweltanalysen mit Recherchen ab: Feilgeboten wird von Konzepten für einen Fernsehsender mit Kleinanzeigenteil bis zur Hamburger „ParkFiction“ eine breite Produkt- und Aktionspalette. Auszüge aus Printbeiträgen in der Rubrik „Altpapier“ lassen geführte oder noch laufende Debatten von Architekturstreit bis Internet, von Shell bis zum Holocaust-Denkmal Revue passieren.
Der Reader zeichnet nach, wie sich im Laufe der letzten Jahre „über mehrere Städte hinweg eine Plattform für Unterhaltung und Zusammenarbeit entwickelt hat“, wobei gerade „Unterhaltung“ – als Entertainment, Gespräch und Broterwerb – ein brauchbarer Begriff für eine spezifische Positionierung des „Team Compendium“ zu sein scheint. Sozusagen als Tocotronic der Kunst will man hier nicht bis ins letzte die verbindliche Last des Diskurs-Pops mittragen, doch Teil der Bewegung ist man schon gerne. Das von Justin Hoffmann etwa diskutierte Organisationsmodell „Popband“ funktioniere – so seine Erfahrungen als Mitmusiker bei F.S.K. – nur als freundschaftliches Arbeitsverhältnis und vertrage wenig Programmatik. Die Pole „Ambivalenz vs. Dogma“, wie sie an anderer Stelle des Readers genannt werden und den scheinbar unvereinbaren Widerstreit von Pop und p.c. meinen, bleiben hingegen etwas beschränkt.
Neben „Sei dabei!“ werden Aktions- und Diskussionsorte wie der Kunstverein München und die Shedhalle Zürich, das Dresdner „Studio Hellerau“, Londons „Poster Studio“, die „Messe 2 ok“ in Köln oder die Wiener Stadtentwicklungsdebatten „80 Stunden Nichts“ geschildert. Hier ist die Selbstreflexion in Gesprächsform schon Teil der Präsentation: Die Besucherinnen wurden nicht mit Symposien-Referaten abgespeist, sondern „fühlten sich mitverantwortlich und machten Verbesserungsvorschläge“ (Isabelle Graw). Ariane Müller und Juliane Rebentisch durchleuchten in ihren Beiträgen minutiös den „durch die Dekonstruktion hindurchgegangenen Zusammenhang“ von Projekten, der qua Freundschaft oder Thema sich verbunden fühlenden Akteure und Akteurinnen. Den Text begleiten Judith Hopfs Aquarelle, auf denen die bei Diskussionen allseits beliebten Klappstühle in diversen Formationen wiedergegeben werden.
DDR-Subkultur auf Besuch in Polen
Wurden noch 1989 in Westeuropa die Runden Tische (wieder) eingeführt, hatten sich die DDR-Zusammenhänge schon längst zerstreut. In einem Interview mit dem Künstler Rainer Görß über ostdeutsche „Subkultur“ stellt sich heraus, daß diese erst auf Besuch im damals schon libertären Polen zustande kam. Historisch weiter zurück wendet sich der Beitrag von Heike Munder über die New Yorker „Art Worker Coalition“: Deren Engagement für Feminismus, Kriegsende in Vietnam, Antidiskriminierung von Nichtweißen oder den Kampf um adäquate Arbeitsbedingungen auch im Kunstkontext ging bis zum körperlichen Einsatz.
Obgleich im hier behandelten Kunstkontext Begriffe wie Kapital, Waren und Markt „häufig in Anführungszeichen“ (Rita Baukrowitz) gesetzt werden – übrigens ebenso wie die Bezeichnung Kunst–, gilt die Beschäftigung mit Themen, die das „autonome Werk“ überschreiten, als Konsens. Eigentlich mag nur Manfred Hermes in seinem völlig zu Recht die heterosexuelle Homogenität des „Zusammenhangs“ kritisierenden Beitrag nicht akzeptieren, daß sich die im Buch verhandelte Kunstpraxis um mehr kümmern möchte, als der Bilderrahmen umschließt. Doch es gibt auch völlig blinde Flecken – was an der auf allen Kunstmessen vertretenen Galerie „Neu“ selbstorganisiert sein soll, bleibt schleierhaft: Die postulierte Ironie ihrer doppelseitigen „HomePage“ über Nischenmärkte und Subkulturprofit bestätigt weitgehend den realen Zustand ihrer Geschäftspolitik.
Rita Baukrowitz/Karin Günther (Hrsg.): „Team Compendium: Selfmade Matches, Selbstorganisation im Bereich Kunst“. Kettner Verlag, Hamburg 1996, 25 DM
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