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Das Ende politischer Bequemlichkeiten

Im Berliner Mykonos-Prozeß steht zum ersten Mal mit Vertretern des Iran eine fremde Regierung wegen Staatsterrorismus vor Gericht. Bislang haben die Bundesregierung und ihr Außenminister Klaus Kinkel hartnäckig am kritischen Dialog mit dem Iran festgehalten. Die Beweisaufnahme erschwert diese Politik künftig – zumal die USA eine Korrektur dieser Praxis einfordern. Eine vorläufige Bilanz des hochbrisanten Strafverfahrens  ■ Von Dieter Rulff

Als vor einem Jahr der Generalbundesanwalt Kay Nehm gegen den iranischen Geheimdienstminister Ali Fallahian wegen der Mykonos-Morde ein Ermittlungsverfahren einleitete, war dessen Kabinettskollege, Außenminister Ali Akbar Welajati, sich noch sicher: „Der deutsche Bundesanwalt kann viel erzählen. Dies wird aber von offiziellen Stellen in Deutschland nicht akzeptiert.“ Mittlerweile hat die Bundesanwaltschaft noch viel mehr berichtet, darunter manches, was die Zuversicht des Iraners erschüttern dürfte.

Anfang der Woche bezichtigte die Karlsruher Behörde in ihrem Plädoyer im Mykonos-Prozeß Welajati selbst, Mitverantwortung für den Anschlag zu tragen, bei dem am 17. September 1992 vier iranisch-kurdische Oppositionspolitiker ums Leben kamen. Wegen des Anschlages müssen sich seit drei Jahren ein Iraner und vier Libanesen vor dem Berliner Kammergericht verantworten.

Am Ende der Beweisaufnahme hatte ein hochrangiger Regierungsbeamter Teherans die staatsterroristischen Hintergründe der Tat ausgepackt. Der Mann, der im April aus dem Iran geflohen war, hatte dem Gericht unter Ausschluß der Öffentlichkeit erläutert, daß der Mordbefehl bereits 1991 von einem „Komitee für Sonderaufgaben“ unter Vorsitz des iranischen Religionsführers Ali Chamenei erlassen worden sei.

Neben Staatspräsident Ali Akbar Rafsandschani und Fallahian nahm auch Welajati an dieser Runde teil. Gegen Fallahian wurde bereits im März Haftbefehl erlassen, gegen Chamenei und Rafsandschani wird die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens geprüft.

Mit Welajati steht nun jener iranische Spitzenpolitiker am Pranger, mit dem Außenminister Klaus Kinkel vornehmlich seinen „kritischen Dialog“ pflegt („mit dem kann ich sehr gut“). Zuletzt trafen sich beide Ende September am Rande der UN-Vollversammlung zu einem Gespräch, das in Kinkels Augen gut und zukunftgerichtet verlief. In New York beschlossen sie auch, die bilateralen Kontakte, die bis dahin der Beamtenebene vorbehalten waren, über ranghohe Vertreter wiederaufzunehmen. Die Kontakte zu diesem wichtigen Land dieser Region abzubrechen, so Kinkel seinerzeit, wäre ein Fehler. Am „kritischen Dialog“ halte er fest.

Die Kontaktaufnahme dürfte künftig schwieriger werden. Denn aufgeschreckt durch die Ergebnisse des Mykonos-Verfahrens, wollen die Bundestagsgrünen nun einen Untersuchungsausschuß beantragen, der eine Empfehlung zur Fortführung des kritischen Dialogs abgeben soll. Helmut Lippelt, außenpolitischer Sprecher der Grünenfraktion, hält dessen Beendigung für unausweichlich, sollte das Berliner Kammergericht ein entsprechendes Urteil fällen.

Auch in den anderen Fraktionen mehren sich die Bedenken gegen die Iran-Politik der Bundesregierung (siehe Interview). Der Ausschuß soll, geht es nach den Grünen, unter anderem der Frage nachgehen, ob und, wenn ja, inwiefern Mitglieder der Bundesregierung, Mitarbeiter von Ministerien oder anderen Behörden des Bundes Kenntnis von der Vorbereitung und Ausführung von Terroranschlägen auf iranische Oppositionelle haben und ob die Bundesregierung durch Duldung iranischer Operationen auf deutschem Boden die Sicherheit iranischer Staatsbürger gefährdet hat. Vor allem aber soll sich der Ausschuß den Mittelostkontakten des Kanzleramtsministers Bernd Schmidbauer widmen und dabei klären, ob bereits eine vorfristige Haftentlassung der Mykonos-Angeklagten ins Auge gefaßt wird. Auch die vielfältigen Versuche der Einflußnahme auf das Verfahren sollen zur Sprache kommen.

Noch im vergangenen Jahr hatte das Auswärtige Amt versucht, die Ermittlungen gegen Fallahian mit dem Verweis auf Paragraph 153c der Strafprozeßordnung zum Erliegen zu bringen. Nach dieser Gesetzespassage ist das Verfahren einzustellen, wenn die „Gefahr eines schweren Nachteils für die Bundesrepublik Deutschland“ droht. Wohl wegen dieser Intervention hatte Welajati seinerzeit so frohlockt – allerdings zu früh: Kinkels Parteifreundin, die damalige Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger, zeigte sich resistent gegen die administrative Einflußnahme.

Das geringe Interesse der Bundesregierung an der Aufhellung der staatsterroristischen Hintergründe des Anschlages drückte sich darüber hinaus in der schleppenden Weise aus, mit der dem Gericht Dossiers und Lageeinschätzungen des Bundeskriminalamts (BKA) und der Nachrichtendienste zur Verfügung gestellt wurden. Kanzleramtsminister Bernd Schmidbauer, um seine Nahost- Kontakte besorgt, hatte denn auch eine ganz eigene Interpretation der Ermittlungsergebnisse: „Wer die Einzelheiten kennt, kommt zu ganz anderen Erkenntnissen.“

Doch die Details, die seither bekannt wurden, bestärken eher den Eindruck des BKA, nach dem der Iran „in der Nahmittelost-Region gegenwärtig einer der wichtigsten in staatsterroristische Aktivitäten verwickelte Staat“ sei. So ermittelt die Münchner Staatsanwaltschaft wegen eines Mörsers iranischer Herkunft, der im Frühjahr beschlagnahmt wurde. Mit ihm sollte, so mutmaßt der Nationale Widerstandsrat des Iran, ein Anschlag auf seine in Paris lebende Führerin Mariam Radschavi verübt werden.

Ende Mai wurde in Paris der ehemalige iranische Politiker Reza Masluman erschossen. Wegen dieses Anschlags wurde mittlerweile der in Bad Godesberg lebende Kaufmann Ahmed Jeyhouni an Frankreich ausgeliefert. Er soll, vermuten die Ermittler, seine Aufträge aus der iranischen Botschaft in Bonn erhalten haben. Masluman war dieses Jahr bereits das zwölfte Opfer der Mullahs.

Das BKA kam bereits 1993 zu der Einschätzung, „daß die iranische Führung keineswegs gewillt ist, im Interesse guter zwischenstaatlicher Beziehungen von terroristischen Operationen abzusehen“. Deshalb ist der Iran für US- Präsident Bill Clinton im Gegensatz zur deutschen Regierung einer der „gefährlichsten Helfer des internationalen Terrorismus“.

Folglich hat die US-Regierung erst im August ein Gesetz erlassen, wonach Unternehmen, die ins iranische Öl- und Erdgasgeschäft mehr als 40 Millionen Dollar investieren, mit Sanktionen belegt werden können. Als er das Gesetz verkündete, mahnte Clinton, die anderen Industrienationen müßten sich fragen, ob sie bei Tag mit Ländern Handel treiben wollen, die sie bei Nacht attackierten und deren unschuldige Bürger sie ermordeten. Der mittlerweile wiedergewählte Präsident hoffte schon im Spätsommer, daß „auch unsere Verbündeten diese grundlegende Wahrheit“ akzeptieren und gemeinsam mit den USA den internationalen Terrorismus bekämpfen werden.

Immerhin hatten die Verbündeten bereits Ende Juli auf der Ministerpräsidentenkonferenz der G7-Staaten und Rußlands in Paris Maßnahmen gegen den Terrorismus vereinbart. Alle Staaten sind nun aufgefordert, „offen davon Abstand zu nehmen, Organisationen oder Personen, die an terroristischen Aktivitäten beteiligt sind, aktive oder passive Unterstützung in irgendeiner Form zukommen zu lassen“ und „jede Person vor Gericht zu stellen, die der Beteiligung an Planung, Vorbereitung oder Begehung einer terroristischen Straftat oder der Beteiligung an der Unterstützung terroristischer Handlungen angeklagt ist“.

Zu diesem Personenkreis könnte nach der Beweisaufnahme im Mykonos-Verfahren wohl auch die iranische Staatsführung gezählt werden. Allerdings ist sie, sobald ihre Vertreter deutschen Boden betreten, durch das Gerichtsverfassungsgesetz geschützt. Dieses sichert Staatschefs, die sich in amtlicher Eigenschaft hier aufhalten, Immunität zu. Diese Grenze der Strafverfolgung kennt auch die Bundesanwaltschaft.

Deshalb hat ihr Vertreter Bruno Jost dafür plädiert, daß über die strafrechtliche Aufarbeitung der staatsterroristischen Morde hinausgehende Konsequenzen und Wertungen andernorts zu treffen seien. Allerdings „mögen sie dazu beitragen, eine Wiederholung eines Anschlages zu verhindern“.

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