: Rituelle Waschung und noch merkwürdigere Ideen
■ AltenpflegerInnen wegen Mißhandlung von Schutzbefohlenen vor Gericht
AltenpflegerInnen haben ab und zu „makabre Ideen“. Auf diesen Standpunkt haben sich gestern zwei MitarbeiterInnen eines Pflegeheims in Groß Borstel gerettet, die sich vor dem Amtsgericht unter anderem wegen Mißhandlung von Schutzbefohlenen verantworten müssen. Die beiden hätten aus ihrer Sicht gemeinsam mit zwei Mitangeklagten „mal Dampf ablassen müssen“, so die 27jährige Anleiterin der AltenpflegerInnen: „Wir haben ständig mit Blut, Kot und Urin zu tun.“ Derbe Scherze unter KollegInnen seien an der Tagesordnung, sie seien aber niemals zu Lasten der HeimbewohnerInnen gegangen.
Die Ventile zum Dampfablassen führten zur Anklage: Alle vier oder einige von ihnen sollen einem alten Mann ein brennendes Feuerzeug an die Schambehaarung gehalten und einer älteren Frau eine Gesichtsmaske aus verdünntem Kot als Kosmetikprodukt angeboten haben. Sie sollen entkleidete Heimbewohnerinnen zu alten Männern aufs Zimmer gesperrt oder für sie Telefonsexverbindungen hergestellt haben. Eine türkische Mitarbeiterin soll von den Angeklagten an einem um ihre Füße gebundenen Schal als „Feudel“ über den Stationsflur geschleift worden sein. Ein junger Kollege wurde nackt mit einem nassen Waschlappen traktiert. Dies alles soll zwischen Herbst 1994 und Frühjahr 1996 passiert sein.
Vor Gericht schüttelten die vier AltenpflegerInnen die Köpfe. Das sei unvorstellbar. Die „Waschung“ des jungen Auszubildenden habe allerdings stattgefunden. „Das war so ein Ritual, das mußten alle Anfänger über sich ergehen lassen“, betonte die Anleiterin gestern. „Es sollte ein Scherz sein.“ Zwar habe es auch den „Kotbecher“ gegeben, aber „den wollten wir der Pflegedienstleitung anonym zu Weihnachten schicken“, erklärte die 24jährige Auszubildende. „Die haben uns so hängenlassen.“
Die Schichten auf der Station mit 26 verwirrten Pflegebedürftigen waren oft nur mit einem Lehrling und einem Pflegediensthelfer besetzt. Die beiden Frauen mobilisierten wegen der Mißstände den Personalrat, riefen eine Betriebesversammlung ein. „Es hat alles nichts genützt“, so die 24jährige. Als die Heimleitung von den Anklagepunkten Wind bekamt, wurden die Arbeitsverhältnisse schnellstmöglich beendet.
Ob die Vorwürfe „ein Phantom“ oder ein Ausschnitt aus dem brutalen Alltag eines Pflegeheimes sind, will Amtsrichter Klaus-Ulrich Tempcke am kommenden Montag herausfinden: Die Verhandlung wird für die Vernehmung der geschädigten alten Leute ins Pflegeheim nach Groß Borstel verlegt. Eines der Opfer ist inzwischen gestorben, die anderen gelten als erheblich desorientiert.
Lisa Schönemann
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