Stahmer stoppt freie Bücher

■ Schulsenatorin streicht, was SPD-Reformer einführten: die Lernmittelfreiheit im zweiten Bildungsweg. Förderunterricht für ImmigrantInnen gefährdet

Die SPD-Schulsenatorin Ingrid Stahmer setzt die Lernmittelfreiheit in einem besonders empfindlichen Bereich außer Kraft. Wie jetzt bekannt wurde, strich Stahmers Verwaltung die Bücherzuschüsse für den zweiten Bildungsweg. Stahmer gab die Zahl von 20 Millionen Mark vor, die in den Schulen bei Unterrichtsmaterialien gekürzt werden sollen. „Anfang dieser Woche haben wir es gemerkt“, berichtet Schönebergs Schulstadträtin Ulrike Herpich (B90/Grüne). „In dem Plan für die Zuweisungen an die Bezirke sind die Lernmittel für den zweiten Bildungsweg an Volkshochschulen völlig rausgestrichen.“

Stahmers Anweisung rasiert nun unter anderem Gratisbücher und weitere Unterrichtsmaterialien wie etwa Kopierpapier. Wolfgang Zügel, Pressesprecher der Senatorin, verwies darauf, daß die definitive Entscheidung bei den Bezirken liege. Für ihre Globalhaushalte könne die Schulverwaltung nur Empfehlungen geben. „Die Bezirke haben sich daran nicht immer gehalten“, beklagt er.

500.000 Mark im zweiten Bildungsweg scheinen zwar auf den ersten Blick wenig, verglichen mit den 10 Millionen, die den öffentlichen Schulen beim Lernmaterial gekürzt werden sollen. Aber beim zweiten Bildungsweg macht dieser Betrag die Summe aller Bezirksetats für Lehrmittel aus.

Besonders hart trifft es die Volkshochschule Schöneberg. 110.000 Mark waren für den Posten vorgesehen, aus dem Lernmittel, Bücher und Kopien bezahlt werden müssen. Auf das Abitur bereiten sich hier 420 KollegiatInnen in vier Lehrgängen vor. Wenn sie die Lernmaterialien nicht mehr von der Schule gestellt bekommen, drohen ihnen Kosten von 500 Mark pro Jahr. „Bei 890 Mark Bafög-Satz stellt sich die Frage, wie das bezahlt werden soll“, klagt Peter Falkenhagen, der den Kolleg-Bereich der VHS leitet.

Bedrohlich sieht es auch bei den SchülerInnen aus, die den Hauptschulabschluß an der VHS machen wollen. Alle hundert SchülerInnen sind nichtdeutscher Herkunft, deshalb gibt es neben dem Pflichtstundenprogramm Förderunterricht. Dieses Angebot ist bereits in den letzten Jahren durch Stellenabbau arg reduziert worden. Jetzt ist das Deutsch-Arbeitsbuch gefährdet, das im Unterricht ausgefüllt wird, also regelmäßig neu beschafft werden muß. „Das ist eine massive Gefährdung unseres Unterrichts“, warnt Barbara Rost, stellvertretende Lehrgangsleiterin. „Der ganze Lehrgang verliert seinen Sinn, wenn man keinen Förderunterricht machen kann.“

Schönebergs Bezirksbürgermeisterin Elisabeth Ziemer (B90/Grüne) nannte es absurd, „daß ausgerechnet eine SPD-Senatorin den zweiten Bildungsweg faktisch stoppt“. Die Bezirke mit VHS-Angeboten im zweiten Bildungsweg müssen sich nun entscheiden, ob sie Lehrmittelkosten aus den anderen Ressorts des Bezirkshaushaltes finanzieren wollen. Betroffen sind vor allem die Kollegs in Schöneberg, Kreuzberg, Treptow und Marzahn. Matthias Fink