piwik no script img

"Gehen, bevor es grundsätzlich wird"

■ Bundespräsident Roman Herzog entdeckt während seines China-Besuchs eine "heranwachsende Weltmacht". Lobt ihre Repräsentanten und legt sich, wenn auch höflich und zurückhaltend, mit ihr an. Aus Peking G

„Gehen, bevor es grundsätzlich wird“

Der Bundespräsident in China – das ist mehr als ein politisches Programm, das ist ein Reiseprogramm. Aus der ersten Reihe seines Panoramabusses kann Roman Herzog drei Tage lang mit dem Auge in die chinesische Wirklichkeit eintauchen. Mauleseltreiber winken ihm auf der Überlandfahrt zu. Armut wird in den Außenbezirken Pekings sichtbar. Smog und Bauschutt ersticken die Innenstadt. Herzog aber scheint das nicht zu beeindrucken.

„Ich bin der festen Überzeugung“, sagt er bei seiner Begegnung mit dem chinesischen Staatsoberhaupt Jiang Zemin, „daß China zu einer großen, wenn nicht der größten Weltmacht des 21. Jahrhunderts heranwächst.“ Die wagemutige Prophezeiung ist sicher mehr als eine diplomatische Höflichkeitsfloskel. Herzog betont es in Peking immer wieder: es gehe ihm darum, Chinas zukünftige Weltmachtrolle zu erkunden.

Wirtschaftsbeziehungen seien für ihn „nicht primär“. „Das mache ich hier so, weil andere das anders machen“, grenzt er sich von den China-Besuchen des Bundeskanzlers ab. Das heißt auch: Mit dem wirtschaftlichen Kleinkram will Herzog nichts zu tun haben. Fast scheint es, als griffe er voraus. Ist China nicht immer noch mehr Entwicklungsland als Weltmacht?

Vielleicht gibt die chinesische Außenhandelsministerin Wu Yi dem Bundespräsidenten in Peking recht. Sie ist so klein, daß ihr der begleitende deutsche Staatsminister Helmut Schäfer auf den Hut spucken könnte, als die beiden in der Großen Halle des Volkes eine Reihe deutsch-chinesischer Kooperationsabkommen unterzeichnen. Wu verschwindet dabei fast unter der Tischdecke. Trotzdem ist sie, um mit Herzog sprechen, eine mächtige, wenn nicht bald die mächtigste Frau der Welt. Wu verhandelt derzeit über das politisch gefährliche Handelsdefizit Amerikas mit China. Mit Japan spricht sie über die Bedingungen, unter denen sich die größten Unternehmensgruppen der Welt in der Volksrepublik ausbreiten. Dabei ist Wu bestimmt keine eiserne Lady. Am Dienstag abend, die Herren Präsidenten haben sich längst zum Staatsbankett bewegt, schaukelt sie mit zwei Freundinnen unterm Arm über den roten Teppich, der zuvor beim Staatsempfang diente.

„Jiang Zemin ist ein Mann, der Erfolge hat“

Die drei Frauen scherzen und lachen. Eine von ihnen ist die Vizepräsidentin der Staatlichen Erziehungskommission, Wei Yu. Sie warnt im Gespräch mit dem Bundespräsidenten, daß es junge Chinesen derzeit nicht mehr nach Deutschland, sondern immer nach Amerika und Japan zum Studieren zieht. „Die neuen Technologien kommen in Deutschland nicht nach“, sagt Wei Yu. Gut vorstellbar, daß China mit Frauen wie Wei und Wu an der Spitze sehr schnell mächtig werden könnte.

So weit aber ist das Land nicht. Diesmal hat es Herzog noch mit der alten Garde zu tun, die vom siechenden Patriarchen Deng Xiaoping handverlesen ist. Nacheinander klappert er am Mittwoch fast das gesamte Politbüro ab – jenen siebenköpfigen Kreis der obersten Parteiführer, die nach wie vor Chinas eigentliche Staatsführung bilden. Zu Beginn gibt sich der Bundespräsident beeindruckt: „Jiang Zemin ist ein Mann, der Chinas große Probleme wirklich angeht und Erfolge hat“, würdigt er den chinesischen Staatpräsidenten. Beim alten Liberalen im Kreise des Politbüros, dem Reformer Li Ruihan, gerät Herzog sogar ins Schwärmen: „Wir können wie Freunde und Brüder miteinander umgehen“, sagt der Bundespräsident über Deutsche und Chinesen, nachdem sein Gegenüber ein altes chinesisches Sprichwort zitiert: „Auch Brüder können streiten, aber Brüder bleiben Brüder.“

Menschenrechtsfrage „auf nüchterne Basis stellen“

Doch dieser freundschaftliche Ton, der die Wunden im krisenbeladenen deutsch-chinesischen Verhältnis einen Moment lang vergessen läßt, währt nicht lange. Plötzlich, während seines letzten Gesprächs, bekommt Herzog Klartext zu hören. Und wie immer ist es Ministerpräsident Li Peng, der – wenngleich nach außen kaum erkennbar – die Rolle des Hardliners übernimmt. Dem Bundespräsidenten ist die Verstimmung deutlich anzumerken, als er am Mittwoch abend in Peking vor die Presse tritt: „Der Ministerpräsident und ich sind unseren Berufen gerecht geworden“, wirft Herzog trocken ein. Nur eines will er dem Gegenüber noch zugute halten: „Nichts ist ausgeklammert worden, auch da, wo es Dissens gab.“

Jetzt wird wieder deutlich, wie anders im Vergleich zum Bundeskanzler der Bundespräsident die Sache in China anpackt: Menschenrechtsfragen sind ihm in der Diskussion geradezu willkommen. Er weigert sich, auf einzelne Fälle einzugehen. Aber er hält das Thema hoch: „Da ist eine Gesprächsplattform stabilisiert worden“, erhofft er sich als Ergebnis seiner Gespräche und schränkt gleich darauf wieder ein: „Hinsichtlich dem, was in der Menschenrechtsfrage bewegt worden ist, bin ich sehr skeptisch.“ Weiterreden, auch wenn es keine Erfolge zeitigt, lautet das Menschenrechtsmotto Herzogs – mit seinen Worten: „Ich wollte die deutsch-chinesische Menschenrechtsdiskussion auf eine nüchterne Basis stellen.“

Was Herzog in Peking den Rücken stärkt, ist sein Konzept einer neuen deutschen Ostpolitik für China. Er spricht mit Li Peng über ein „Netz unter den politischen Führern, das so eng geknüpft werden muß, daß aus unterschiedlichen Philosophien nicht immer wieder neue Konflikte entstehen“. Das allzu vertraute Vokabular erinnert hier an die Zeiten des Kalten Krieges. Hier bleiben denn auch die größten Zweifel nach dem China-Besuch des Bundespräsidenten: Wie kann eine erprobte Politik, die – positiv ausgedrückt – in Osteuropa den Zusammenbruch des Kommunismus vorbereiten half, heute dazu dienen, mit der angeblichen Weltmacht des kommenden Jahrhunderts fertig zu werden? Wie aber sagt Herzog, als er von seinem Botschafter auf der Chinesischen Mauer über die historischen Grenzen zwischen Barbarei und Menschenrechten unterrichtet wird: „Jetzt gehen wir, bevor es grundsätzlich wird.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen