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"Leisetreterei" der Regierung gerügt

■ Todesdrohung iranischer Fundamentalisten gegen die Oberstaatsanwälte im "Mykonos"-Prozeß empört Politiker und Nebenklagevertreter. Iran fordert Entschuldigung für die "Beleidigung" Chameneis

Berlin/Bonn (taz/dpa) – Die beiden Anklagevertreter im „Mykonos“-Verfahren, die Oberstaatsanwälte Bruno Jost und Ronald Georg, gingen gestern in den 224. Verhandlungstag, als wäre ihnen nicht tags zuvor mit der Fatwa gedroht worden. „Keinen Kommentar“ wollten sie abgeben zu den Parolen, die in der iranischen Stadt Qom von mehreren tausend Geistlichen und Studenten skandiert worden waren: „Wenn diese dreckigen faschistischen Ankläger sich nicht für die Beleidigung unserer heiligen Werte entschuldigen, werden wir sie so verurteilen wie Rushdie.“

Statt der beiden Vertreter der Bundesanwaltschaft äußerten sich gestern die Vertreter der Nebenklage und einzelne Politiker in Bonn empört über die Morddrohung aus dem Iran.

Hingegen forderte Bundesaußenminister Klaus Kinkel zur Besonnenheit im gespannten Verhältnis zum Iran auf. Ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen wäre „im Augenblick eine völlig falsche Entscheidung“.

Die iranische Regierung fordert nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von der Bundesregierung eine „Klarstellung und Wiedergutmachung“ für die angebliche Beleidigung ihres religiösen Führers Chamenei. Chamenei war von den Bundesanwälten als Auftraggeber des „Mykonos“-Mordes bezeichnet worden.

Angeblich soll der iranische Botschafter eine öffentliche Entschuldigung durch den Bundeskanzler oder den Bundespräsidenten gefordert haben. Die Bundesregierung habe darüber zwar beraten, aber noch keine Entscheidung getroffen.

Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig erklärte gestern, er habe die Forderung der Geistlichen mit großer Empörung zur Kenntnis genommen. Er weise diese Drohung ebenso entschieden zurück wie die Diffamierung der Bundesanwälte als „faschistische Ankläger“. Die Anklagevertretung in dem Berliner Verfahren habe ausschließlich nach Recht und Gesetz gehandelt. Er stehe persönlich dafür ein, daß sie auch zukünftig unbeeinflußt von politischem Druck und Drohungen von außen ihre Pflicht wahrnehmen könne.

Diese Ausführungen reichten dem Rechtsanwalt Hans-Joachim Ehrig nicht. Die Reaktion aus Bonn auf die Todesdrohung sei ein Skandal, sagte der Nebenklagevertreter im „Mykonos“-Verfahren in seinem Plädoyer. Wer sich weiter in Leisetreterei ergebe, so Ehrig, „macht sich mitschuldig durch Unterlassen“. Er verlangte von der Bundesregierung mehr als den „gebetsmühlenartigen Hinweis auf die Unabhängigkeit des Verfahrens“. In einer Verhandlungspause sagte Ehrig, es sei eine Linie überschritten, bei der ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu erwägen sei, den dann der Iran zu verantworten hätte.

Ehrig wie auch sein Kollege Otto Schily, der gleichfalls gestern plädierte, sahen es als erwiesen an, daß die Ermordung von vier iranisch-kurdischen Oppositionellen im Berliner Lokal „Mykonos“ im September 1992 eine Auftragstat der iranischen Regierung war. Schily äußerte die Befürchtung, daß im Vorfeld der Urteilsverkündung derlei unverschämte Drohungen wie die Todesdrohungen gegen die Bundesanwälte noch zunehmen werden. Wer im Iran glaube, er dürfe ungestraft Vertreter der Bundesanwaltschaft bedrohen, „muß wissen, daß das eine Kampfansage an das ganze deutsche Volk ist“.

Unter Bezugnahme auf die Beweisaufnahme des Prozesses sagte Schily, „eine Botschaft, die als logistisches Zentrum zur Steuerung von Mordaktionen genutzt wird, muß geschlossen werden“. Ein Staat, dessen Repräsentanten terroristische Mordaktionen gut hießen oder sogar selbst in Auftrag gäben, dürfe nicht durch Prolongation von Krediten, Ausbildungshilfe und diplomatische Ehrbezeigung belohnt werden. In Bonn erklärte Entwicklungshilfeminister Carl-Dieter Spranger, mit der Drohung gegen die Staatsanwälte werde dem „kritischen Dialog“ von Klaus Kinkel der Boden entzogen. Dieter Rulff

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