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Die Suche nach dem letzten Kick

Katastrophentourismus ist angesagt – zu feuerspeienden Vulkanen oder zu Mord und Totschlag. Nur wenige Unternehmen haben dieses Marktsegment für sich entdeckt  ■ Von Björn Blaschke

Da bietet ein Reiseveranstalter in Kempten seit kurzem eine ganz besondere Tour an: einen viertägigen Trip nach Island zum Krater des feuerspeienden Vulkans bei Vik. Kostenpunkt – inklusive Flug ab Hamburg, drei Übernachtungen mit Frühstück und Transfer zu den besten Aussichtsplätzen in sicherer Entfernung – 1.990 Mark pro Person. Für 1.990 Mark in ein Krisengebiet? Ein Kölner Reisebüro hat vor drei Jahren Touren nach Kroatien angeboten – für nur 50 Mark. Zugegeben, es waren Busreisen, und jeder mußte selbst für seine Unterkunft sorgen. Aber: Niemand mußte mit den „besten Aussichtsplätzen“, die in sicherer Entfernung liegen, vorliebnehmen. Nein, jeder konnte sich direkt bis an die Front bringen lassen – in die erste Reihe sozusagen, ganz nah dran.

Nicht, daß Mißverständnisse aufkommen, es handelt sich hier nicht um Kritik am Katastrophentourismus. Im Gegenteil: Es gibt eigentlich nur zwei Arten von Urlaub: der Besuch auf einer Beauty- Farm mit der ganzen Familie oder hin zu Krisen, Katastrophen, Kriegen.

Alles, was dazwischen liegt, ist – Pardon – Quatsch. Beachen am Strand von Tanger, Alpen-Wanderungen und Toscanatrüffel genauso wie Töpferkurse in der Provence oder gar „Selbstfindung im buddhistischen Mönchskloster“, gratis ein Liter Yak- Milch täglich – selbstgemolken. Nein, no risk, no fun. Was zählt, ist der echte kick, der thrill, den man hat, wenn das Leben am sprichwörtlichen „seidenen Faden hängt“ – und nicht an einem todsicheren Bungee-Gummi. Klar, der Schreckmoment, in dem einem die Kugeln um die Ohren fliegen, ist schrecklich. Aber der Moment danach – dieses Glücksgefühl: „ich habe es überlebt“ – läßt einen das Leben wieder so richtig schätzen, das – und nur das – ist die perfekte Selbstfindung nach erfolgreicher Selbstüberwindung.

Leider jedoch wird der Katastrophentourismus – und es ist nicht der gemeint, den das Reisebüro in Kempten übergewichtigen Weicheiern in Island anbietet –, leider also wird der echte Katastrophentourismus nur von wenigen Unternehmen angeboten. Dabei ist sicherlich immer noch ein französisches führend – eines mit Namen Fremdenlegion. Denkbar wäre es allerdings, daß auch die zivile Reisebranche künftig auf diesen Sektor setzt und schon in kurzer Zeit einen starken Zuwachs verzeichnen kann. Minenhüpfen in Kambodscha, Barfuß-Trecking in Afghanistan, Heilfasten in Somalia oder Entdecken Sie Thailand – ohne Kondom – zunächst für Individualreisende, später aber auch für Gruppen – organisiert in Clubs. Urlaub mit dem Tod – juhui – Sie haben es sich verdient!

Denken Sie aber daran: Wenn Sie öfter so reisen, wird Sie irgendwann nichts mehr so richtig reizen. Dann wird es Ihnen so ergehen, wie einem Freund von mir. Ich habe ihn am Ende des libanesischen Bürgerkrieges kennengelernt – in Beirut. Dort hatte er 16 Jahre lang den Krieg miterlebt und – ob Sie es glauben oder nicht – genossen. Nach dem Ende des Krieges fehlte ihm das Leben auf des Messers Schneide. Er suchte sich einen neuen kick und fand ihn nicht. Statt dessen kauft er sich jedes Wochenende mindestens zehn CDs – und das ist auf die Dauer so richtig teuer.

Wenn Sie sich das nicht leisten können, sollten Sie lieber einmal im Jahr nach Island fliegen, um sich den brennenden Vulkan von Vik anzusehen.

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