: Tat gegen den Staat
■ "Der Fall Lebach": Auftakt der neuen Sat.1-Reihe "Verbrechen, die Geschichte machten" (22 Uhr, Sat.1)
Sie lösten eine Lawine aus. Am 20. Janauar 1969 überfielen zwei unbekannte Täter im saarländischen Lebach ein Munitionslager der Bundeswehr. Dabei gingen sie mit äußerster Brutalität vor, schossen fünf Wachmänner nieder und erbeuteten drei Nato-Gewehre und zwei BW-Pistolen. Was aber viel bedeutsamer war: Sie setzten mit ihrer „Tat gegen den Staat“ eine Großfahndung in Gang, wie sie die Bundesrepublik bis dahin noch nicht erlebt hatte.
Über 1.000 Hinweise aus der Bevölkerung notierte Oberstaatsanwalt Buback (ja, genau der!), jedem einzelnen ging das BKA mit äußerster Akribie nach. Junge Männer mit Backenbart und Nato- Parka wurden in diesen Monaten von ihren Nachbarinnen denunziert; wer eine ausgebeulte Kordhose trug, konnte schon verdächtigt werden, darin eine Pistole zu verstecken. Über hundert Kleinkriminelle gingen der Polizei so ins Netz – nur die Soldatenmörder von Lebach waren lange nicht darunter. Wie praktisch immer übersahen die Ermittler trotz allem Aufwand die wichtigesten Hinweise – auch jene aus Eduard Zimmermanns ZDF-Fernsehreihe „Aktenzeichen XY ungelöst“. Als die Täter schließlich nach 95 Fahndungstagen mit etwas Glück gefaßt wurden, war das öffentliche Erstaunen groß: keine politischen Überzeugungstäter, keine APO- Anarchos, keine Bundeswehrgegner hatten die blutige Tat begangen. Nicht die Mafia oder ein fremder Nachrichtendienst steckten hinter dem Verbrechen, sondern drei junge, frustrierte, schwule Männer, die einfach nur „weg“ wollten, von einem Segelboot träumten und sich veritable Waffen für einen veritablen Raubzug besorgen wollten.
Auch Drehbuchautor Erwin Keusch verfolgt mit dem „Fall Lebach“ keine politischen Ziele. Er erzählt das historische Verbrechen streng aus der Sicht der Täter. Präzise und einleuchtend beschreibt er ihre in Brutalität mündende Unbeholfenheit. Die vom BKA angezettelte Großfahndung wird dagegen kaum problematisiert. Aufrufe in der „Tagesschau“ oder ähnliche historische Dokumente, die dem Fernsehspiel noch mehr Authentiztität hätten geben können, müssen hier fehlen. Man drehte eben privat. Vielleich mag die unnötige Distanz zu der BKA-Hexenjagd auch daran liegen, daß der Hexenmeister Eduard Zimmermann höchstselbst bei der Konzeption der Reihe „Verbrechen, die Geschichte machten“ seine Hände im Spiel hatte. Unterstützt von namhaften Regisseuren wie Eberhard Itzenplitz oder Michael Kehlmann werden nach Zimmermanns Idee noch weitere bedeutsame Straftaten der Kriminalgeschichte nachgespielt: Die E 605-Mordserie, der Fall Nitribitt und die Lindbergh- Entführung hat Sat.1 verfilmen lassen und damit einmal mehr unter Beweis gestellt, daß auch Dokudramen ihre eigene Spannung haben. Daß sich der Sender nun deshalb gleich damit brüsten muß, eine neue „Krimigattung“ begründet zu haben, zeugt allerdings von unpassender Großmannssucht. Denn wer sich noch an die „Soldatenmörder von Lebach“ erinnert, müßte doch auch noch Jürgen Rolands legendäre „Stahlnetz“-Reihe im Kopf haben. Deren Plots fußten allesamt auf „wahren Begebenheiten“ und schreiben auch Geschichte. Fernsehgeschichte. Klaudia Brunst
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