: Die RAF lebt, aber wozu?
■ RAF-Papier: Der Entscheidung ausgewichen
Seit gestern wissen die Staatsschutzbehörden, daß es die Rote Armee Fraktion noch gibt. Vorausgesetzt, die erste Wortmeldung aus dem linksmilitanten Off nach über zweieinhalb Jahren ist authentisch, wofür vieles spricht. Klar ist nach diesem Papier auch, daß eine „Schlußerklärung“ ohne Wenn und Aber, eine Abrechnung mit 25 Jahren „bewaffneter Politik“, von dieser Gruppe vorerst nicht zu erwarten ist. Ebensowenig deutet darauf hin, daß die RAF ihre vor über fünf Jahren eingestellten Anschläge gegen führende Repräsentanten aus Wirtschaft und Politik wieder aufnehmen will.
Das Papier kommentiert die Rückkehr Christoph Seidlers, verteilt Noten an inhaftierte und frühere Genossen, weidet sich in verschwörungstheoretischen Ergüssen – bis hin zum absurden Verdacht, der an einer Lungenentzündung verstorbene Bruder des angeblichen Kronzeugen Siegfried Nonne sei von den Staatsschutzbehörden um die Ecke gebracht worden. Die Autoren stellen Fragen, die auch anderswo gestellt werden: nach den Todesumständen ihres Freundes Wolfgang Grams in Bad Kleinen, nach dem Umgang der Behörden mit ihrem früheren V-Mann Klaus Steinmetz. Die entscheidende Frage nach ihrer eigenen Zukunft bleibt aber unbeantwortet. Die Aufforderung der RAF-Gefangenen Birgit Hogefeld und Helmut Pohl, die Truppe formal und öffentlich aufzulösen, quittiert die Erklärung mit eisigem Schweigen.
Das Signal soll wohl lauten: RAF lebt, wenn wir auch nicht mehr wissen, wozu. Die Erfahrung der vergangenen Niederlagen ist nichts, die Erwartung künftiger sozialer Eruptionen des kapitalistischen Systems alles. Die RAF will noch – oder wieder – da sein, wenn es soweit ist. Deshalb ist es nur konsequent, daß die versprengte Truppe das Aussteigerprogramm des Verfassungsschutzes nur als Variante der Kronzeugenregelung interpretiert. Beide Angebote zielen auf Erosion von innen – mit dem Unterschied, daß das Aussteigerprogramm einen Weg zu einer rechtsstaatlichen Abwicklung weist. Wer nicht abgewickelt werden will, muß diese Möglichkeit ablehnen.
Die RAF hat sich zurückgemeldet: unblutig, erstarrt, ratlos, aber mit einem positiven Nebeneffekt für Christoph Seidler. Dessen Versicherung, er sei nie Mitglied der RAF gewesen, trägt nun das RAF-Siegel. Gerd Rosenkranz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen