: Die Karriere des Malermeisters Rainer K.
Rainer Körppen sitzt seit Oktober in Haft. Wieder einmal. Diesmal wird dem 48jährigen die Entführung und Ermordung des Frankfurter Millionärs Jakub Fiszman vorgehalten. Auffallend häufig suchte er den Kontakt zur Polizei ■ Von Peter Hillebrand
Für Rainer Körppen, den angeblichen Entführer und Mörder des Frankfurter Multimillionärs Jakub Fiszman, war fünf Tage vor seiner Verhaftung die Welt noch in Ordnung. Seine – vermutlich – dritte Entführung hatte er erfolgreich abgeschlossen.
Die Übergabe des Lösegeldes hatte geklappt, und das Geld war im Garten seiner Schwiegereltern vergraben. Das Opfer konnte ihn nicht mehr identifizieren, es lag mit einem Spaten erschlagen im Wald und wurde fieberhaft von der Polizei gesucht. Als ihn seine zweite Exfrau an diesem 11. Oktober in seinem Bungalow in Langen bei Offenbach aufgeregt anruft, bringt ihn das nicht aus der Fassung. Sie teilt ihm mit, daß das Landeskriminalamt Wiesbaden per Computer seine Daten anforderte, und fragt ihn, was das zu bedeuten habe.
Körppen stellt sich vollkommen ahnungslos und bittet sie, sich doch mal nach den Hintergründen zu erkundigen. Dieser Vorschlag liegt nahe, denn seine Exfrau ruft ihn direkt aus dem Polizeipräsidium Mainz an, wo die 51jährige ehemalige Politesse als Angestellte im Geschäftszimmer der Schutzpolizei arbeitet. Ihre Nachforschungen fallen den Kollegen auf. Sie wird festgenommen, verhört und fristlos entlassen, ohne die Presse darüber zu informieren. Jetzt erwartet sie ein Strafverfahren wegen des Verrats von Dienstgeheimnissen. Eine Mitwisserschaft oder gar Beteiligung an den Taten ihres Exgatten wird ihr von der Staatsanwaltschaft nicht vorgeworfen.
Rainer Körppen reagiert ruhig, läßt die Fahnder auf sich zukommen, statt sich mit dem Lösegeld abzusetzen. Ungewohnt ist sein Verhalten keineswegs: Trotz vieler Gewalttaten war er immer recht glimpflich davongekommen. Mit einem durchaus gewachsenen Gefühl der Überlegenheit suchte er geradezu die Nähe zu den Hütern des Gesetzes.
Sein Leben weist viele, auch sehr private Berührungspunkte mit Polizisten auf. In Körppens Heimatstadt Wiesbaden erinnern sich einige von ihnen jetzt, daß in den 70er Jahren ein Kollege seinen Nachbarn Körppen einmal zum Saunabesuch mitbrachte. Man traf sich fortan regelmäßig. Allerdings habe sich der Kollege mit seinem Nachbarn bald verkracht. Als es kurz darauf im Keller des Polizisten brennt, habe man Körppen verdächtigt, ihm aber nichts nachweisen können.
Der Malermeister Körppen ist zu diesem Zeitpunkt in Wiesbaden schon ein bekannter Mann. Mit einem Luftdruckgewehr hatte er aus dem Auto heraus auf Passanten geschossen und war deshalb verurteilt worden. Auch ein Bordellbesuch Körppens hatte 1971 für Schlagzeilen gesorgt. Im Streit um die Bezahlung erschoß er den Zuhälter Imig. Das Gericht wertete dies als Notwehr und sprach ihn frei.
Seine Arbeit als Malermeister führt ihn in dieser Zeit in die Wohnung eines hohen Beamten des Bundeskriminalamtes. Aus der Renovierung der Wohnung entwickelt sich ein Verhältnis mit der Gattin des Polizeibeamten. Die beiden machen auch ihre Ehepartner miteinander bekannt, damit sie bei ihren Treffen den Schein wahren können. Der Wiesbadener Staatsanwalt Hans-Josef Blumensatt faßt gegenüber der taz die Passage in einem späteren Urteil gegen Rainer Körppen, die das Verhälntis der beiden Ehepaare zueinander betrifft, mit den Worten zusammen: „Man kannte sich und pflegte Kontakt.“ Während der hohe BKA-Beamte von der Affäre nach seinen Angaben nichts mitbekommt, stellt Körppens Ehefrau Johanna ihren Mann zur Rede. Es kommt am 19. Februar 1977 zu einem heftigen Streit. Körppen würgt und schlägt sie. Die herbeigerufene Polizei findet sie tot in der Badewanne vor.
Die Obduktion ergibt: Tod durch Ertrinken. Wegen einer kurz vor der Tat abgeschlossenen Lebensversicherung über 200.000 Mark zu seinen Gunsten gerät Körppen in Mordverdacht und wird verhaftet. Er bekommt schon nach kurzer Zeit Haftverschonung. Die Ehe des hohen BKA- Beamten geht zu Bruch. Sie zieht zu ihrem Geliebten, wo sie allerdings nur bis zu Heiligabend 1977 bleibt. Hals über Kopf trennt sie sich von Körppen und zieht zu einer Freundin außerhalb Wiesbadens. Kurz darauf brennt dort das von ihr bewohnte Zimmer.
Der Verdacht fällt wieder einmal auf Körppen, aber die Beweise fehlen. In der Gerichtsverhandlung gegen Rainer Körppen im Sommer 1979 spielt seine Affäre mit der Ehefrau des „hohen BKA- Beamten“ eine große Rolle. Seine Ehefrau und auch er selbst müssen als Zeugen aussagen. Damit wird seine Identität bekannt: Hagen Saberschinsky, heute Polizeipräsident von Berlin.
Körppen wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge zu über zehn Jahren Gefängnis verurteilt, bleibt aber vorerst bis zur Revisionsverhandlung auf freiem Fuß. Von der Justiz ungebremst, setzt er seine Karriere fort. Noch während er Haftverschonung hat, überfällt er eine alte Frau mit zwei Komplizen, die ihr mit dem Hammer auf den Kopf schlagen. Die Beute: 400 Mark statt der erwarteten 30.000.
Seine Revision gegen die Strafhöhe wegen des Todes seiner Frau hat Erfolg. Es bleibt aber trotzdem bei über zehn Jahren, weil mittlerweile insgesamt sechs weitere Straftaten hinzugekommen sind. Etwa ein Drittel der Strafe sitzt er ab, das zweite Drittel verbringt er ab 1983 im offenen Vollzug. Die Reststrafe wird zur Bewährung ausgesetzt, obwohl er in der Zeit des offenen Vollzugs weitere Straftaten begeht. Aber eine vom hessischen Justizminister Rupert von Plottnitz „grotesk“ genannte Verordnung, nach der nur während der Bewährungszeit, aber nicht während des offenen Vollzugs begangene Straftaten als Verstoß gegen die Bewährung gewertet werden, sichert Körppen weiterhin die Freiheit. Trotz weiterer Straftaten, auch während der Bewährungszeit, muß er die Reststrafe nicht antreten. Den Vorwurf, Baumaterial gestohlen zu haben, versucht er mit einem Alibi zu entkräften, für das er 3.000 Mark bezahlen will. Der Handel fliegt auf, und er wird zu einem Jahr und zehn Monaten Gefängnis verurteilt. Diese Strafe kann er vollends im offenen Vollzug als Freigänger hinter sich bringen. Er arbeitet als Aushilfsfahrer bei einer Catering-Firma, die sich in dem gleichen Gebäude befindet wie die Firma des Fleischgroßhändlers, dessen Sohn ein halbes Jahr später, im September 1993, entführt wird. Auf diesen Zusammenhang stößt die Polizei allerdings erst nach der Verhaftung Körppens wegen der spektakulären Entführung und Ermordung des Frankfurter Multimillionärs Jakub Fiszman. Ein ehemaliger Arbeitskollege Körppens meldete sich als Zeuge.
Bei der Fahndung nach den Entführern war 1993 auch Rainer Körppen ins Visier der Polizei geraten. Erst jetzt teilt die Polizei bislang geheimgehaltene Einzelheiten der Geldübergabe mit. Der Überbringer der in einer Sporttasche verstauten zwei Millionen Mark Lösegeld wurde damals von den Entführern nachts auf der Rheinbrücke zwischen Mainz und Wiesbaden bestellt. An einer mit einem Lappen gekennzeichneten Stelle hängt ein Seil, mit dem die Tasche runtergelassen wird. Die Tasche verschwindet vor den Augen der Polizei, Wasserschutzpolizei inklusive, spurlos. Selbst der in der Tasche versteckte Sender gibt keine Impulse mehr. Bei der Verhaftung Körppens am 16. Oktober findet die Polizei dann im Haus Körppens eine mögliche Erklärung: eine Taucherausrüstung und den Taucherausweis des begeisterten Sporttauchers. Diese Erklärung hätte die Polizei auch schon kurz nach der Geldübergabe finden können, wenn sie einen Hinweis auf Körppen ernsthafter verfolgt hätte. Am Übergabeort war seinerzeit ein Fahrzeug gesehen worden, dessen Typ und Teile des Kennzeichens mit dem Auto von Körppens Sohn Sven übereinstimmten. Auf Drängen der Wiesbadener Polizei wurde auch der mittlerweile bei Offenbach lebende Vater Rainer Körppen von der dortigen Polizei überprüft. Er gibt ein Alibi an, das von einer Frau bestätigt wird. Zu diesem Zeitpunkt ist er bereits wegen des „gekauften“ Alibis rechtskräftig verurteilt und registriert. Anstiftung zum Meineid heißt der Straftatbestand. Trotz dieses unübersehbaren Tatbestands scheidet er sofort aus dem Kreis der Verdächtigen aus.
Die Lokalpresse, deren Nachforschungen mit Regelmäßigkeit von der Staatsanwaltschaft bestätigt werden, stellt jetzt offen die Frage, ob die Frau, die Körppen seinerzeit ein Alibi gab, seine zweite Exfrau aus dem Mainzer Polizeipräsidium ist. Ob diese gar ihre Seriosität vielleicht mit dem Hinweis auf ihren Lebensgefährten, einen leitenden Kriminalbeamten, unterstrichen habe. Die Staatsanwaltschaft gibt zur Identität der Alibigeberin keine Auskunft, dementiert allerdings auch nicht, daß es sich um eine bei der Polizei beschäftigte Person handeln könnte. Es sei durchaus möglich, daß das Alibi nicht bewußt falsch, sondern eher leichtfertig bestätigt wurde.
Von dem Lösegeld aus dieser Entführung sind bisher etwa 300.000 Mark aufgetaucht, aber nur in einem Fall wurde ein Mann, der 20.000 Mark bei sich hatte, verurteilt. Auch von ihm führte bisher keine Spur zu Körppen. Mittlerweile wurde aber von der Polizei durch die Aussage von Körppens Sohn Sven das von den Entführern benutzte Versteck gefunden und identifiziert: Ein von Körppen gemieteter Gewerberaum in einem Wiesbadener Vorort.
Die Polizei wirft Körppen auch die Entführung des damals sechsjährigen Peter Fiszman, Neffe des ermordeten Frankfurter Multimillionärs Jakub Fiszman, vor. Der Junge war im Januar 1991 in Köln zusammen mit einer Schulfreundin entführt und nach drei Tagen wieder freigelassen worden, angeblich ohne daß ein Lösegeld gezahlt wurde.
Jetzt steht für die Polizei fest, daß die beiden Kinder in einem Haus in Mainz-Kastel, das seinerzeit Körppen gehörte, gefangengehalten wurden. Direkt gegenüber dem Haus liegt das örtliche Polizeirevier. In dem nur zwei Autominuten entfernten und auch von den Beamten des Polizeireviers häufig besuchten McDonald's hatten die Entführer seinerzeit Essen und Getränke für die Kinder besorgt.
Im Februar 1991, etwa einen Monat nach der Freilassung der beiden Kinder, erhielt der Großvater Peter Fiszmans und Vater des später ermordeten Jakub Fiszman einen handgeschriebenen Erpresserbrief in fehlerfreiem Deutsch, der nach Ansicht der Polizei aufgrund von Einzelheiten nur von den Entführern stammen konnte. Gefordert wurden, wie schon bei der Entführung, 3,2 Millionen Mark. „Das ist genau der Betrag, um den Sie unsere Familie betrogen haben. Aus Kummer darüber ist eines unserer Familienmitglieder gestorben“, heißt es darin im Stil eines Mafia-Films. Sie drohen mit der Ermordung eines Familienmitglieds und geben zu erkennen, daß sie die Gewohnheiten der Familie sehr gut kennen.
Als Zeichen für die Zahlungsbereitschaft soll an drei Tagen eine Anzeige geschaltet werden: „Am 27., 28. und 29. Februar.“ Die Familie holt die Polizei zu Hilfe. Über die Tatsache, daß 1991 kein Schaltjahr war, heißt es in einem internen Papier der Polizei: „Nach eingehenden Recherchen stellte die Soko fest, daß es keinen 29.2. gibt. Ihre Vermutung: Die Täter rechnen nach dem jüdischen Kalender.“ Eine Vermutung, die wohl damit zu tun hat, daß die Familie Fiszman jüdisch ist. Gleichzeitig belegt die Vermutung die vollkommene Unkenntnis des jüdischen Kalenders seitens der Ermittler. Denn dieser kennt weder Schalttage noch den Februar. Das hätte ihnen auch der Erpreßte erklären können.
Nach Erscheinen der Anzeige melden sich die Erpresser schriftlich und übermitteln Anweisungen für die Geldübergabe am Freitag, dem 29. 5. 1991, was die Polizei als Schreibfehler interpretiert. Sie veranlaßt die Übergabe „am 29. 2.“, der nach bürgerlichem Kalender der 1. März ist.
Die genaue Lage des Übergabeortes übermitteln die Erpresser mit einem telefonischen Verfahren, das – laut Soko-Papier – in Erpressungsfällen nicht neu, aber bisher nicht veröffentlicht worden sei. Allerdings sei damit eine Übermittlung von Informationen zum Scheitern verurteilt, weil das System fast nie funktioniere. Bei soviel Verwirrung wundert es nicht, daß am ermittelten Ort zur ermittelten Zeit keine Nachricht liegt. Die Erpresser melden sich nicht mehr.
Jetzt weiß man, daß Rainer Körppen auch die Familie Fiszman in Köln durch seine Arbeit als Malermeister einige Jahre zuvor kennengelernt hatte. Damals war keinerlei Zusammenhang erkennbar.
Körppen blieb auch bei der Entführung von Jakub Fiszman im Oktober dieses Jahres seiner Methode treu, sich bei seinen kriminellen Aktivitäten seines Bekanntenkreises und seiner Familie zu bedienen. Bekanntlich arbeitete seine dritte Ehefrau Renate seit Jahren in der Firma des Ermordeten. Sein Sohn Sven aus der Ehe mit der in der Badewanne zu Tode gekommenen Ehefrau legte als Mittäter unmittelbar nach der Tat ein umfangreiches Geständnis ab. Seitdem fahndet die Polizei nach einem unbekannten dritten Täter.
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