: „Es ist immer noch anstrengend, hier zu leben“
Hamburgs Karoviertel: Die Gewaltbereitschaft ist hoch, die Konflikte sind allgegenwärtig. Viele der AnwohnerInnen haben inzwischen die Hoffnung auf ein friedliches Multikulti verloren. Ein Bericht ■ von Ulrike Winkelmann
„Hier steckt so viel Kraft im Viertel“, sagt Bea Trampenau vom Frauen-Lesben-Treff „Intervention“, „und deshalb schlagen wir uns mit aller Kraft die Köpfe ein.“ Zweimal schon, allerdings aus unterschiedlichen Gründen, ist „Intervention“ im Karo-Viertel Ziel eines Überfalls von Männern gewesen, denen das feministische Treiben nicht paßte. Zuletzt, Anfang Dezember, schlug und trat ein türkischer Mann im Zentrum um sich, weil die Interventionistinnen seine Frau vor ihm beschützten. Im Juni waren Roma-Männer hereingestürmt und hatten die Anwesenden beleidigt. Am nächsten Morgen waren die Räume verwüstet. Unbestritten, so Trampenau, sei die „Gewaltbereitschaft“ im Karo-Viertel sehr hoch, andererseits „gibt es hier auch ein hohes Maß an Schutzmöglichkeiten“, denn die AnwohnerInnen seien sensibilisiert.
„Das sind die Roma-Männer, die sich hier ständig völlig daneben benehmen“, klagt eine der Tresenfrauen im „Café Oriental“, die erst kürzlich von einem angespuckt und als „Fotze“ beschimpft wurde, „weil das Bier zu spät kam“. Schlägereien und Streitereien um Drogendeals seien an der Tagesordnung; alle im Café hätten den Eindruck, daß die Bedrohung durch die Männer- und Jugendlichengruppen „immer schlimmer wird“.
Im Karoviertel zwischen Heiligengeistfeld, Schlachthof und Messegelände leben in 3.000 Wohnungen 7.000 Menschen, fast 50 Prozent von ihnen sind AusländerInnen, Roma und TürkInnen zumeist. Das Viertel ist jung: Nur sechs (in Hamburg: 17) Prozent der AnwohnerInnen sind älter als 65. Und außerdem ist das Viertel arm: Arbeitslosigkeit und Sozialhilfebezug liegen hier wie in ganz St. Pauli doppelt bis dreifach über dem Hamburger Mittel.
Anfang der 90er Jahre sorgten Drogen, Kriminalität und sexistische Anmache für Konflikte – der Spiegel berichtete im Oktober 1991 von Roma-Kindern, die zum Drogenhandel angehalten wurden und die AnwohnerInnen terrorisierten. Um rassistischen Tendenzen entgegenzuwirken, um sich gegen die Übergriffe zu wehren und zugleich den interkulturellen Austausch zu verbessern, gründete sich die „Karo-Ini“. Auf ihr Betreiben wurden 1993 Sozialarbeiterstellen geschaffen, das Deutsche Rote Kreuz übernahm die Trägerschaft für den Roma-Klub „Negotin“ in der Marktstraße. Inzwischen ist die Ini eingeschlafen, weil viele die Hoffnung auf ein friedliches Multikulti im Karoviertel verloren haben.
Mladen Djuric ist Roma, Sozialarbeiter und hat sein Büro im „Negotin“. Die Kommunikation sei – nicht zuletzt durch seine Vermittlertätigkeit – besser geworden, sagt er. „Außerdem haben die Nachbarn gemerkt, daß uns unsere Traditionen, die Musik und das Treffen, wichtig sind und beschweren sich nicht mehr.“ Stolz ist er, daß dieses Jahr 40 Roma-Kinder in die Vor- und Grundschule gegangen seien, mehr als je zuvor. Natürlich sei es immer noch ein Problem, daß so viele Jugendliche nachts auf der Straße herumliefen und auch Frauen belästigten. „Um sie zu kontrollieren“, meint Djuric, „müßte man hier eine zweite Schicht einrichten“, denn im Augenblick sei er mit seiner Aufgabe „ganz allein“.
„Die strukturellen Probleme des Viertels sind mit noch mehr Sozialarbeit nicht zu beheben“, meint sein Kollege vom Amt für soziale Dienste, Dogan Kilickaya. Auch er sitzt mittlerweile allein in seinem Büro, denn zwei der drei Sozialarbeiterstellen sind unbesetzt. Dringend nötig sei ein Raum für Jugendliche, der immer offen sei. Das Drogen-Projekt „Clean Future“, in dem viele türkische Jugendliche Fitneß-Training oder Musik gemacht haben, wurde im November ersatzlos geschlossen.
Laut Kriminaloberrat Ulrich Tille aus der „Lerchenwache“ hat sich „das Viertel merklich beruhigt“. Nachdem zuletzt im Sommer eine Prügelei zwischen Türken und Roma auf der Marktstraße und Ladendiebstähle jugendlicher Roma „für Unruhe gesorgt haben“, hätten sich viele der Probleme, etwa das sich hartnäckig haltende Gerücht, im Karoviertel werde Schutzgeld erpreßt, „relativieren lassen“. Bei Diebstählen handele es sich um vereinzelte „Intensivtäter“, die der Polizei bekannt und gegenwärtig im Gefängnis seien.
Angelika Jordan vom Bioladen „Lollo Rossa“ hat den Eindruck, daß die Polizei die Konflikte im Viertel kleinreden will. Ihr seien im Sommer die Schaufenster mit Eiern beworfen worden, „Nazi-Schlampe“ sei sie genannt worden, nachdem sie Roma-Jugendliche daran gehindert habe, zwei jungen Männern die Mountainbikes wegzunehmen. Eine kleine Gruppe Roma-Jugendlicher „macht hier die Stimmung kaputt“, meint sie, aber „wer dagegen angeht, wird sanktioniert“. Die Laden- und KneipenbesitzerInnen, deren Scheiben eingeworfen und deren Kassen gestohlen würden oder Einzelpersonen, die sich mitten am Tag Geld abpressen ließen, brächten dies nicht zur Anzeige und hätten auch sonst „Schiß“, etwas öffentlich zu machen. Zu schnell stehe da auch der Rassismus-Vorwurf im Raum.
Um diesem zu entgehen, will Marianne Heimfarth von der Stadterneuerungsgesellschaft (Steg), dem Sanierungsträger im Viertel, „in Zukunft mehr auf Einzelfallarbeit setzen“. Im Steg-Sanierungsbeirat, dem einzigen Gremium im Viertel, das sich regelmäßig trifft, laufen vielerlei Beschwerden und Anregungen ein, von der mangelnden Auslastung der Altentagesstätte bis zum Kampfhundproblem. „Es ist immer noch ausgesprochen anstrengend, hier zu leben“, meint sie, deshalb komme es darauf an, „durch ein Netz couragierter Menschen“ mehr soziale Kontrolle herzustellen. Allen im Viertel sei klar, daß es nicht darum gehe, einzelne Gruppen auszugrenzen oder zu stigmatisieren, nur müßten die Täter eben benannt werden, wenn das Zusammenleben organisiert werden solle.
„Ich denke, wir können uns hier gegenseitig respektieren“, meint auch Bea Trampenau von der „Intervention“. Doch wichtig sei, das Leben im Viertel für alle Gruppen – „Linke, Frauen, Roma, Türken, Alte“ – zu erleichtern: „Wir haben hier sieben Schuhläden, die meisten davon zu teuer, aber keinen Bäcker, keine Apotheke und kaum öffentliche Räume.“ Die Interventions-Frauen wollen nun Stadtteilrundgänge für Frauen organisieren, „weil sich die Frauen sicherer fühlen, wo sie sich auskennen“.
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