: Die Menschenwürde fällt unter den Tisch
■ Zu Besuch im Abschiebegefängnis Oslebshausen / Asylgruppe: „Der Alltag ist ein Skandal“
Keine Selbstmorde, keine Brände - der Abschiebealltag im Haus 1 der Strafvollzugsanstalt Oslebshausen scheint trist und wenig skandalträchtig, vor allem im Vergleich mit dem alten Abschiebeknast in der Ostertorwache. Auf den ersten Blick ist nicht zu sehen, was gemeint war, als im Oktober 18 Abschiebehäftlinge in einem Brief schrieben: „In diesem Gefängnis geschehen Sachen, die nicht menschlich sind.“
Der kahle, gekachelte Aufenthaltsraum mit den früher mal weiß gekalkten Wänden ist noch leer. Erst nachmittags dürfen sich die zwanzig Gefangenen in zwei Schichten auf 15 Quadratmetern Aufenthaltsraum drängen. Wem es nichts ausmacht, daß der ganze Raum zuhören muß, kann sogar telefonieren.
Bis dahin sind die Gefangenen in ihren kleinen Einzelzellen eingeschlossen. 440 Menschen sind in diesem Jahr in Bremen in Abschiebehaft genommen worden, bis zum Jahresende werden es etwa 450 sein, wie Ausländeramtsleiter Dieter Trappmann schätzt. Im letzten Jahr waren es 434.
Ohne zu klopfen wird die Zellentür krachend aufgeschlossen. Ängstlich starrt ein Schwarzafrikaner auf die vier Gestalten im Türrahmen. Der Blick bestätigt, was Häftlinge am Polizeigewahrsam (PGW) kritisieren, aber selten belegen können. „Wir werden nie informiert, wann die Abschiebung ist. Wenn die Tür in unsere Zelle aufgeht, wissen wir nie: werde ich jetzt abgeholt?“ hieß es in dem Brief. „Die Gefangenen wissen nicht, warum sie im Gefängnis sind oder wie lange die Haft dauert“, beklagt Ghislaine Walther von der Asylgruppe Ostertor. Weil die psychische Anspannug deshalb bei den Abschiebehäftlingen größer als bei Strafgefangenen ist, fordert die Asylgruppe Ostertor schon lange einen sensibleren Umgang mit den Häftlingen. Meist aber erfährt man in Haus I nicht, warum die Tür aufgerissen wird.
Der Häftling entspannt sich. „Heute morgen war gut“, erzählt er. Oft aber gibt es, Speiseplan hin oder her, nur trockenes Brot, keine Magarine und nicht einmal heißes Wasser, um sich Tee oder Kaffee zu machen. Der Dienstplan bestimmt, wie das Klima im Haus I ist.
„Fünf oder sechs sind gute Leute“, erzählt der Afrikaner. Doch ausgebildet für die langfristige Betreuung von Häftlingen sind die gut 50 PGW-Beamten nicht. Die langjährige Erfahrung reicht nicht immer. Viele sind überfordert, andere abgestumpft.
Daß ein urkainischer Deserteur tagelang den selben Trainingsanzug trug, fiel weder dem Personal noch der Sozialarbeiterin auf. Er selbst hatte sich geschämt, nach einem Ersatz für seine muffige Montur zu fragen. Duschen soll alle zwei Tage möglich sein. „Aber wir schaffen einfach nicht alles“, erklärt ein PGW-Beamter. Besonders wenn Gefangenentransporte anstehen oder Häftlinge zu Gerichtsterminen begleitet werden müssen, fehlen die Leute für den umständlichen Aufschluß. Einfach alle Zellen offen zu lassen sei aber nicht gestattet, bedauert der Beamte. Deshalb muß betteln, wer nur telefonieren oder eine Kopfschmerztablette haben möchte.
Einige Beamte, wie der, den die Gefangenen „den Bärtigen“ nennen, agieren sogar offen rassistisch, würgen und schubsen, wenn man nicht schnell genug springt. Der Weihnachtsbaum, den ein Beamter privat für die Häftlinge besorgt und mit ihnen geschmückt hatte, stand nur einen Tag vor dem Aufenthaltsraum. Offizielle Version: Die Gefangenen hätten ihren Baum zerstört.
Manchmal legen ein paar Beamte zusammen, besorgen eine Fußball für die Hofzeiten, der aber meist schnell im Stacheldraht sein Leben aushaucht. Doch der Boden des hundezwingerartigen Gitterkäfigs, in dem die Abschiebehäftlinge ihren Hofgang haben sollten, hat sich ohnehin längst in eine Schlammwüste verwandelt. Seit Tagen war niemand mehr draußen, obwohl zweimal 45 Minuten Hofgang vorgeschrieben sind. Die wenigsten Abschiebehäftlinge kennen ihre Rechte, und darauf zu pochen, hat ohnehin selten Erfolg. In der letzten Woche wurden - einmal mehr - viele Besucher nicht herein gelassen, wie ein gerade entlassener Libanese erzählt. „Keine Begründung.“ Wenn sich überhaupt jemand beschwert, heißt es meist: „Das ist kein Hotel hier“.
Die Ausländerbeauftragte des Landes Bremen, Dagmar Lill, bedauert, daß ihr die Hände gebunden sind: „Die Häftlingen haben es schwer, ihre Beschwerden zu belegen. Vom Personal heißt es natürlich immer: „Das stimmt nicht'“ „Ja, denken sich denn die Häftlinge den ganzen Tag Geschichten aus?“, fragt sich dagegen Ghislaine Walther. Das Fazit der Abschiebegruppe: Abschiebehäftlinge sind wesentlich schlechter gestellt als Strafgefangene. Walther: „Die Menschenwürde? Die fällt da unter den Tisch. Schon seit langem.“
Verbesserungsvorschlägeder Asylgruppe werden in der Regel abgeblockt, auch wenn sich pro forma der Parlamentsausschuß Ausländerpolitik Anfang des Jahres mit dem Thema beschäftigen soll. Die nichtvorhandenen Resultate der Ausschuß-Arbeit nennt Walther allerdings „eine Ohrfeige für uns.“ Die Abschiebehaft werde ohnehin bald in die Vahr verlegt werden, heißt es beim Innensenator. Dort endlich können wenigstens Frauen und Männer getrennt untergebracht werden. Wann umgezogen wird, ist allerdings unklar. Trappmann rechnet mit mehreren Jahren, Lill mit „wenigstens einem.“ Ausländeramtsleiter Trappmann hält den Oslebshauser Abschiebealltag dennoch für „tragbar. Daß Gefangene sich beschweren, liegt in der Natur der Sache.“ Ursula Prahm von der Asylgruppe dagene: „Dieser Alltag ist ein Skandal.“
Doch das ist im Sinne der Verantwortlichen. In Bremen wird die Abschiebehaft nicht nur zur Sicherstellung der Ausreise genutzt, sondern auch als Druckmittel. Trappmann: „Die Haft dauert länger, wenn die Betroffenen das selbst zu vertreten haben. Wenn die Haft lange genug war, sagen sie uns, wo sie ihren Pass versteckt haben und dann ist das Thema erledigt.“ Wer nicht kooperiert, muß schmoren - auch wenn das wegen der Frage der Verhältnismäßigkeit rechtlich umstritten ist. Doch in Bremen gehört auch die Abschreckung zum Abschiebe-Alltag. Lars Reppesgaard
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