: „Die Gefahr wird massiv unterschätzt“
■ Der KDM-Sicherheitschef Klaus-Dieter Matschke über die Spionage gegen Unternehmen
taz: Schützen sich die deutschen Betriebe ausreichend?
Klaus-Dieter Matschke: Nein. Die Gefahr wird immer noch massiv unterschätzt – nach dem Motto: „Bei uns passiert doch nichts.“ Gerade wachsende Unternehmen scheinen viel zu sehr mit sich selber beschäftigt zu sein, um auf ihre Sicherheit zu achten. So habe ich neulich eine Firma besucht, die ihre neu entwickelte Werkzeugmaschine in der Auslieferungshalle stehen ließ, in der jeder Vertreter jederzeit hineinmarschieren konnte. Hinzu kommt, daß viele Unternehmen bei der Ausspionierung durch die Konkurrenz gar nicht an einer Strafverfolgung wegen eines Verstoßes gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb interessiert sind, da dies zuviel Staub aufwirbeln würde. In Deutschland werden etwa 1.500 Unternehmen „Geheimschutz- betreut“, das heißt, deutsche Dienste helfen ihnen, sich gegen Spionage zu schützen – allerdings nur, wenn sie staatliche Aufträge haben. Das geht bis zur Überwachung von Putzkolonnen. Für alle anderen Unternehmen heißt es: „Schütze dich selbst.“
Warum spricht die Bundesregierung so wenig darüber? Spielt sie die Gefahren durch Dienste befreundeter Staaten herunter?
Die Gefahren sind der Regierung zwar bewußt. In der Öffentlichkeit will sie das aber nicht diskutieren – aus politischer Rücksichtnahme zu befreundeten Staaten. Aufgedeckte Fälle der Spionage von friendly spies werden auf der politischen oder diplomatischen Ebene bereinigt. Da muß dann etwa irgendein Ausländer still und leise ausreisen. Meist erfährt davon niemand etwas. Oder das Botschaftspersonal wird mal wieder ausgewechselt.
Wird die Wirtschaftsspionage durch ausländische Dienste zunehmend zu einem zwischenstaatlichen Problem?
Es ist zumindest erstaunlich, daß Bundesinnenminister Manfred Kanther kürzlich öffentlich erklärt hat, es sei eine politische Unverfrorenheit erster Klasse, daß Wirtschaftsspionage in Deutschland auch von den Diensten der Länder betrieben werde, die von Deutschland staatlich unterstützt würden.
Was kann man tun gegen Wirtschaftsspionage? Was sollte die Bundesregierung unternehmen?
Bei der Konkurrenz-Spionage müssen die Strafen drastisch erhöht werden. Derzeit sind sie so gering, daß Unternehmen sie sogar in Kauf nehmen, da der wirtschaftliche Vorteil der Spionage das Strafrisiko bei weitem übersteigt. Bei der Wirtschaftsspionage durch fremde Dienste sind die Strafen hoch genug. Wie in den USA sollte man die Konkurrenz-Spionage so hoch ahnden wie die Spionage durch fremde Dienste. Eine internationale Ächtung der Wirtschaftsspionage durch fremde Dienste ist jedoch beim zweitältesten Gewerbe der Welt ziemlich unrealistisch. Unter den etwa zwei Millionen Unternehmen in Deutschland sind etwa 20.000 bis 30.000 hoch innovativ. Es ist leider undenkbar, sie alle mit ein paar hundert staatlichen Beratern für den Geheimschutz zu betreuen. Zudem ist es eine Gratwanderung, die Unternehmen nicht durch ein Übermaß an Schutzbestimmungen zu gängeln und ihnen doch genug Schutz zu geben. Allerdings sollte die Bundesregierung auch in diesem Feld mehr für die Standortsicherung tun.
Sollte der deutsche Auslandsgeheimdienst BND auch im Ausland Spionage für die deutsche Wirtschaft betreiben?
Wir leben schon lange genug mit dem Ausspionieren deutscher Unternehmen durch die Dienste befreundeter Staaten. Dabei ist es dem BND noch nicht einmal erlaubt, Informationen über ausländische Firmen, die er im Ausland sammelt, an deutsche Konkurrenten weiterzugeben. Aus Gründen der Chancengleichheit der deutschen Wirtschaft kann ich deshalb auf Ihre Frage nur antworten: Warum eigentlich nicht? Interview Philipp Gessler
Klaus-Dieter Matschke (48) ist Chef der „KDM Sicherheits-Consulting“ mit Hauptsitz in Frankfurt/ Main. Die Firma ist unter anderem spezialisiert auf die Beratung von Großunternehmen gegen Wirtschaftsspionage. Für KDM arbeiten überwiegend ehemalige Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden. Matschke war früher für den westdeutschen Militärnachrichtendienst MAD tätig und war Anfang der 90er Jahre für kurze Zeit „provisorischer Sicherheitsberater“ der CDU-FDP-Landesregierung von Sachsen-Anhalt.
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