■ Das fehlte noch: Wissenswertes über Mineralwasser: Natriumwert 3687
Schon merkwürdig, was die Spitzengourmets dieses Landes so treiben. Da glaubt unsereins, die acht gängigsten O-Säfte könnten kaum distinkt beschrieben, geschweige denn Wasser nach „Geschmack“, etwaigen „Wirkungen“ und „Bekömmlichkeit“ eingestuft werden – und glatt liegt man voll daneben.
Claus Arius' bei Heyne erschienene, 235 Seiten starke und 44 Mark verschlingende Pionierschrift „Mineralwasser – Der Guide zu 170 Marken aus aller Welt“ beweist nämlich das Gegenteil. Sie beweist, daß sich heutzutage über jeden Quark und jedes Geäff der gehobenen Ernährungs- und gastronomischen Experten- Kultur ein richtiges Buch verfertigen läßt, das zudem vollstens im Trend liegt und gebraucht wird wie nix zuvor, denn „nie wurde so viel Mineralwasser getrunken wie heute, vom reinen Durstlöscher entwickelte es sich zur Lebenseinstellung“. Es muß dem kulinarischen Topjournalisten Arius, dessen „Hauptinteresse“, laut Klappentext, „den Getränken – und hier im besonderen dem Mineralwasser“ gilt, somit eine wahre Herzensangelegenheit gewesen sein, sich mit so vielen Mineralwässern herumzuschlagen.
Fürs Herz soll Mineralwasser (MW) ja gut sein. Stärken tut's auch die Nerven, spülen die Niere, regulieren den Stoffwechsel. Die „große Fülle unsichtbarer Inhaltsstoffe“ bilde „den Wert des Mineralwassers“, lehrt Arius; MW als solches zeichne sich, ob unter den 500 deutschen, etwa 60 französischen oder 38 belgischen Marken beheimatet, durch sein „wertvolles Innenleben“ aus, „Quelleningenieure“ bergen es aus ewigen Erdentiefen, und selbst im Falle einer „von der Mineralisation her eigenwilligen Quelle“ kann sich der Konsument „bei jedem Schluck, den er trinkt, sicher fühlen“.
Das begrüßen wir. Doch wie, fragt man sich, ergeht es derweil dem MW-Degustator, der „hart perlendes“ CO2 beobachtet („Es spielt eine große Rolle beim Trinkgenuß und geht von 8 g/l bis zum völligen Fehlen“), der vergeblich Farbe zu unterscheiden, Antrunk und Finish, Aroma und Bukett einzuschätzen versucht? Was denkt der Herr Arius unter solchen Umständen? Wo es, streng genommen, gar nichts zu beurteilen gibt?
„Ein Buch über die edlen Wässer ist nötiger denn je“, teilt er selbstbewußt mit; und da hat er auch wieder recht. Sensationelle 170 Marken wollten evaluiert und vorher sogar getrunken werden! Hut ab! Nein, das hat er schon gut gemacht, und heraus kam nach fleißigem Saufen ein wichtiges Buch. Etliche Professoren wirkten mit, denen brav Dank gesagt wird, und alle „Aussagen in diesem Buch sind von Autor und Verlag sorgfältig erwogen und geprüft worden“, auf daß den in farbigen Hochglanzfotografien präsentierten schönen MW-Flaschen und ihren gleichsam noch bravouröseren Inhalten kein Unrecht im Sinne des „unlauteren Wettbewerbsgesetzes“ (H. Faßbender) widerfahre.
Im Grunde ist das Herstellen von Mineralwasser keine große Kunst, man muß es halt heraufholen und gegebenenfalls „enteisen“. Den Rest verfügte Gottes langmütige Natur, deren Werken gegenüber sich Arius zu hoher Huld verpflichtet weiß. So machte sie ein „Premium Wasser“ namens „Canadian Music“, welches als „absolut geschmacklos“ eingestuft wird und „zum Kochen, Mixen, Eiswürfel, Partyspaß“ geeignet ist. Sie machte in Ungarn „Hunyadi Jamos“, das „stärkste Wasser“ der Welt, nötigte mal zu ungeheuren „Bohrungstiefen“, mal zu deutscher Pumptechnologie in Rumänien. Drei Sorten kennt der Fachmann, diverse Anwendungsgebiete vom einfachen Trinken bis zum heilenden Trinken. Und neben dem mineralischen Profil jedes einzelnen Mineralwassers wertet und bewertet Arius auch wortreich-engagiert dessen „Geschmack“: „neutral“, „weich“, „neutral“, „salzig“, „neutral“, „neutral“, „neutral“, „absolut neutral“.
Neutraler läßt sich diese interessante Rezension nicht beschließen. Nur mitgeteilt soll noch sein, daß wir ab sofort das russische „Essentuky“ mit seinem „überwältigenden“ Natriumwert von 3.687 zu unserer absoluten Hausmarke küren und desweiteren in einer geschmacklosen Welt, die aus Salz, Brot und „Partygag“-Mineralwässern besteht, dann eigentlich doch absolut keinen Bock zu loben haben. Und somit lieber den zirka 15.000 wundersamen, weltweit auszutrinkenden Bieren auf der Spur bleiben. Jürgen Roth
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