■ SPD: Streit um Regierungsbeteiligung der PDS hält an
: Schlag nach bei Lenin!

Rolf Schwanitz, Vize der Ost-Querschnittsgruppe der SPD im Bundestag und stellvertretender Vorsitzender seiner Partei in Sachsen, hat zum Längsschnitt des Strategiepapiers ausgeholt, das sein Genosse Wolfgang Thierse kurz vor Weihnachten führenden ostdeutschen Sozialdemokraten unterbreitet hatte. Ergebnis der Sezierung: Thierses Überlegungen führen in die Sackgasse. Sollte es zu Koalitionen zwischen SPD und PDS auf Länderebene kommen, was Thierse im Einzelfall für erwägenswert hielt, stünden der Partei Massenaustritte, vielleicht sogar die Parteispaltung ins Haus.

Natürlich ist Schwanitz' Angriff auf Thierse ein Produkt der Angst: Angst vor weiteren Übertritten ehemaliger Bürgerrechtler ins christlich-konservative Lager, Angst vor den stimmendezimierenden Wirkungen einer neuen Volksfront-Kampagne der CDU. Dennoch sollte, was er zu sagen hat, nicht im Aktenordner „Fallsammlung politischer Hysterie“ abgeheftet werden. Denn Wolfgang Thierse hat durch die Beweisführung in seiner vorweihnachtlichen Botschaft Reaktionen der schwanitzschen Art selbst provoziert.

Denn was an Thierses Positionsbestimmung abstößt, ist ihr taktizistischer Grundzug. Der stellvertretende Parteivorsitzende hat die Pflicht, dem Publikum zu erklären, wie es seiner Meinung nach um den Grundsatzstreit in der PDS steht und welche Prognose er den demokratischen Entwicklungsmöglichkeiten der Wendesozialisten stellt. Erst von einer solchen Einschätzung aus läßt sich eine stufenweise Einbbeziehung der PDS in die „demokratische Verantwortung“ befürworten oder verwerfen. Thierses These, die PDS sei nur Regionalpartei und deshalb per se für eine Koalition auf Bundesebene ungeeignet, ist formalistisch und inhaltlich (siehe das Gegenbeispiel CSU) anfechtbar.

Wenig hilfreich scheint es auch, wenn Thierse der parteiinternen Auseinandersetzung dadurch ausweicht, daß er seine Überlegungen zu „Notizen“ herunterpolt. „Notizen“ können eine Menge in Bewegung setzen, wie Lenins Beispiel zeigt. Dessen Einschätzung der politischen Kräfteverhältnisse im vorrevolutionären Rußland war freilich glasklar. Wo diese Klarheit fehlt, ist der Auftritt von Leuten wie Schwanitz, sind Prinzipienreiterei und Chaos vorprogrammiert.

Also genau das, was man vermeiden wollte. Christian Semler