: Stoffwechsel
■ Zur theoretischen Konstruktion des Kleidertauschs. Endet "Gender-Bending" in erneuter Feindschaft zur Frau? Ein Buch über "Crossdressing" klärt auf
Hat es etwas zu bedeuten, wenn sich Bücher zur Gender-Debatte oftmals von hinten nach vorn leichter lesen lassen als umgekehrt? Susanne Benedeks und Adolphe Binders Untersuchung „Von tanzenden Kleidern und sprechenden Leibern“ macht allerdings auch hinten Mühe, wenn die Autorinnen ihr Resümee zur Frage des Untertitels „Crossdressing als Auflösung der Geschlechterpolarität?“ ziehen. Es bedarf einer gehörigen Portion Hingabe, der Lektüre geneigt zu werden.
Dann aber bieten die „tanzenden Leiber“ eine kompakte, wohlorganisierte Zusammenfassung der Thesen von Barbara Vinken, Jean Baudrillard, Camille Paglia und Marjorie Garber zum Phänomen des Kleidertauschs in der Mode und zum Transvestismus im allgemeinen. Dabei scheint vor allem die Travestie der Frau problematisch.
Nach Barbara Vinken ist die Gleichberechtigungsforderung der Frau im Dress-for-success-Anzug einer identitätszersetzenden Bewegung abträglich, wie sie vom männlichen Transvestiten, dem neuen, einsamen Star einer Mode praktiziert wird, die Hierarchien und Unterscheidungsmerkmale hinter sich gelassen hat.
Für Baudrillard dagegen gaukelt das permanente Verschieben frei tauschbarer Zeichen Veränderung nur vor. Der binäre Geschlechtercode werde in seiner Essenz nicht berührt.
Eine gesamtgesellschaftliche Revolution aber bedürfe des Geschlechterkampfes, der wiederum auf der Geschlechterpolarität in Reinform aufbaut.
Das Widersprüchliche seiner Analyse ist offensichtlich: Entweder die Essenz bleibt unberührt, dann gibt es die Geschlechterpolarität, an der sich die Revolution entzünden müßte; oder die Zeichenspiele haben doch Folgen. Nämlich den Geschlechtermischmasch, den er der kleidertauschenden Frau anlastet, die zumindest so weit identitätszersetzend agiert, als sie das Weibliche aufs Spiel setzt, und die Möglichkeiten der Identitätsentwicklung des Mannes gefährdet, der des Scheins der Weiblichkeit als Projektionsfolie bedarf.
Entgegen Baudrillard, der die Gegensätzlichkeit der Geschlechter – ähnlich Barbara Vinken – bereits abgeschafft sieht, glaubt Camille Paglia eine starke Verbündete im Kampf gegen die Androgynie an ihrer Seite zu haben: Die Natur, die – Paglias essentialistischen Überzeugung nach – alle soziokulturellen Formen, einschließlich des Geschlechterantagonismus, determiniert.
Befremdlicherweise sieht sich Paglia angesichts des Crossdressings dann aber zur Rettung der Essenz aufgerufen. Bedeutet doch Androgynie, „die männlichen Mechanismen von Konzentration und Projektion außer Kraft zu setzen“. Wenn also die Frau ihre chthonische Weiblichkeit in der männlichen Verkleidung zum Verschwinden bringt, liegt für Paglia wie für Baudrillard die Gefahr offen, daß dem Mann das Bild fehlt, gegen das er seine apollinische, kulturstiftende Identität stabilisieren kann. Es droht nichts weniger als der Untergang des Abendlands.
Nur für Marjorie Garber ist nicht nur das männliche, sondern auch das weibliche Crossdressing Zeichen einer Kategorienkrise, deren Klassen-, Rassen- und Geschlechtergrenzen auflösende Macht, anders als für Paglia, kulturstiftend wirkt. Garber geht es nicht um Dekonstruktion des geschlechtlichen Binärsystems, sondern um diejenige der Essenz.
Die Geschlechterdifferenz bleibt bei ihr erhalten, die künstlichen Inszenierungen von Männlichkeit und Weiblichkeit sind aber einem konterkarierenden, reformerischen Spiel offen.
Doch mit den „fortgeschrittenen Kadern, die sich zutrauen, das Projekt des Selbst auch ohne die Krücke der Basisidentität Geschlechterzugehörigkeit zu realisieren“, wie es Katharina Rutschky im Merkur (März, 1994) formulierte, ist es auch heute nicht so weit her. Denn, so die Autorinnen: „durch den Stoff hindurch“ spricht weiterhin der Körper der Frau. Wie sich in der Transvestiten- Show und ihrer misogynen Zote zeigt, meint nämlich der Transvestit, der als gebärunfähiger Mann grenzenlose Sexualität ohne Folgen verspricht, die „bessere Frau“ zu sein.
Im Crossdressing, so die Schlußfolgerung der Autorinnen, „findet die Trennung von Reproduktion und Sexualität, parallel zur verorteten Idee des defizitär Weiblichen im biologischen Körper der Frau, ihren Höhepunkt“. Die Subversion der gesellschaftlich als essentiell gedeuteten Geschlechterrollen bleibt einmal mehr eine individuelle und ästhetische Erfahrung. Die Autorinnen berufen sich dabei auf die literarische Sprache Djuna Barnes' und die Imagination des Kinos.
Wenn also auch das Gender- Bending in altbekannter Feindschaft zur Frau endet, muß man vielleicht – wie es die Autorinnen am Ende ihrer Untersuchung tun – einen dicken Strich darunter ziehen. Vielleicht aber müßten die Frauen auch den Macht- und Emanzipationsdiskurs akzentuieren.
Inwieweit dabei subkulturelle Phänomene sichtbar werden, wäre erneut zu fragen. Die Mode jedenfalls generiert wie die Kunst zunächst eine systemeigene Weltsicht, die keine konkurrenzfreie in dem Sinne darstellt, daß sie den besseren Blick auf die Gesellschaft hätte.
Die Kriterien, mit deren Hilfe sich das System der Mode so kurzschließt, daß es selbst jederzeit entscheiden kann, was in seinen Operationsraum fällt und was nicht, werden tatsächlich weder von Religion, Wirtschaft noch Geschlechterrollen geliefert.
Dann ist es aber ein Mißverständnis, davon auszugehen, die modische Transzendierung der Geschlechter sei gesellschaftlich zu funktionalisieren. Brigitte Werneburg
Susanne Benedek/Adolphe Binder: „Von tanzenden Kleidern und sprechenden Leibern. Crossdressing als Auflösung der Geschlechterpolarität?“ edition ebersbach, Dortmund 1996, 239 S., 38 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen