„Ich habe ihn nicht geliebt“

■ Vollzugsbeamter wegen Sex mit Gefangenen vor Gericht / Belastungszeuginnen fühlen sich mitschuldig

weimal soll er ihr einen Heiratsantrag gemacht haben. Ein paarmal sollen Mann und Frau Liebe gemacht haben – auf sein Drängen hin. In den Büschen des Bürgerparks und auf dem Beifahrersitz des Dienstwagens. Wirklich widersprochen habe sie nicht, sagte die zierliche Frau jetzt vor Gericht. „Ich wollte doch meine Freiheit genießen.“ Deswegen habe sie die kurzen Ausflüge aus der Haftanstalt nicht einfach ablehnen können, auch wenn der Angeklagte sie im eigenen Interesse eingefädelt habe. Die Heiratsversprechungen des Vollzugsbeamten habe sie aber zurückgewiesen. „Wie soll das gehen, ich eine Knacki und Ausländerin“, habe sie ihm gesagt. „Ich wollte keine Familie zerstören“ sagte sie jetzt vor Gericht – und klingt dabei eigentümlich altmodisch.

Die Hauptbelastungszeugin und Nebenklägerin im Verfahren gegen den Bremer Vollzugsbeamten Ernst H., dem wegen sexueller Kontakte in Mißbrauch seiner Amtsstellung insgesamt sechs Tage lang der Prozeß gemacht wird, ist kein unbeschriebenes Blatt. Drogendelikte, Haftstrafen und Sucht. Vor Gericht wird ihre Aussage streng geprüft. „Hat es ihnen gefallen, als Zeugin in diesem Prozeß plötzlich so eine wichtige Rolle zu haben?“ fragt der Richter. Weitere Fragen ergeben: Hätte die zierliche 31jährige nicht gegen ihren ehemaligen „Ansprechpartner“ im Blockland-Vollzug „ausgepackt“, wie sie sagt, wäre sie schon in die Türkei abgeschoben worden. Daß sie in Deutschland geboren, aufgewachsen und geschieden ist, macht dabei keinen Unterschied. Ob der Vollzugsbeamte ihr Hoffnung auf eine Aufenthaltserlaubnis gemacht hat – daran kann sie sich nicht erinnern. Für sie geht es um sexuelle Nötigung. Daran erinnert sie sich. Sie weiß noch: Heiraten wollte sie den Angeklagten, von dem sie zumeist als „Herr H.“ spricht, eigentlich nie. „Ich glaube, weil ich ihn nie geliebt habe“, antwortet sie nachdenklich und zögernd – wie sich Frau G. vor dem insgesamt achtköpfigen männlichen Podium aus Richtern, Staatsanwälten, Angeklagten und Schöffen und vor nur einer weiblichen Schöffin, überhaupt nur zögerlich offenbart. Sie hat keine Wahl. Denn nicht nur in den hinteren Rängen des Gerichtssaals wird getuschelt, daß diese Frau „lügt wie gedruckt.“

Weil sie auch Angst hatte, habe sie über das Verhältnis zum Vollzugsbeamten lange geschwiegen. „Es ist soweit gekommen, daß ich das zugelassen habe“, gibt sie sich Mitschuld und widerspricht Rachegedanken – als wenn sie nicht das Recht dazu hätte, den Mann, der ihre hilflose Situation als Insassin ausgenutzt haben soll, zu verfluchen. Es dominiert Hilflosigkeit, denn: „Ich glaube, er hat mich wirklich gerne gehabt.“

Das allerdings glaubte 1993 auch die zweite Zeugin. Die Zärtlichkeiten seitens des Beamten gaben ihr dazu Anlaß, führt sie aus. Vielleicht auch ein wenig die eigenen Gefühle: Als sie einmal wieder im Blockland einsaß, habe sie sich in den Mann, „ich glaube verknallt“. Den Kuß, als sie „völlig fertig“ in der Vollzugsküche saß, legt sie ihm heute noch irgendwie freundlich aus. „Er wollte mich wohl trösten.“ Keine der beiden Zeuginnen spricht sich frei davon, mit dem Herz – jedenfalls zeitweise – beteiligt gewesen zu sein. Anders der Angeklagte.

„Ich bin immer für die Frauen dagewesen“, bestätigt der 47jährige die Darstellung der Zeuginnen teilweise. Zu sexuellen Handlungen sei es dabei aber nicht gekommen. Auch habe es keine Haschischgeschenke an die Hauptbelastungszeugin gegeben. Die Frauen, die vor Anstaltsleiter und Kripo gegen ihn aussagten, habe er nicht berührt. Dem Mann droht, wird er nicht freigesprochen, ein Disziplinarverfahren, als weitestgehende Folge die Entlassung.

Daß es überhaupt zu einer Anzeige kam, ist Zufall – glaubt man den Frauen. Die Initiative einer vierten veranlaßte sie dazu. Sie soll das sexuelle Machtspiel des Mannes mit den weiblichen Inhaftierten als ebenfalls Betroffene zuerst aufgedeckt haben. Aus Wut. Erst danach sprachen die Frauen darüber, daß der Beamte sich nachts die Tür zu ihrer Zelle aufschloß. Daß er sie auf der Treppe umarmte und küßte. Oder im Beamtenbüro. Oder in der Küche. „Ich dachte, ich wäre die Einzige“, sagte eine zweite Zeugin leise vor Gericht. Aber jetzt fühle sie sich wie früher, weint sie leise. „Als Kind habe ich das schon mal erlebt. Das auf der Treppe und so. Das mit den Heimlichkeiten. Das kommt jetzt wieder hoch.“

Der Richter läßt nicht locker. Nach Aussagen des Angeklagten wäre diese schmale Frau für Zärtlichkeiten nicht infrage gekommen – wegen einer Kieferoperation. Ob die Zeugin durch eine Zahnoperation „beeinträchtigt“ gewesen sei, forscht er nach. Die Antwort der Frau offenbart, daß sie ahnt, worum es geht: Die Wurzeloperation und die Zärtlichkeiten von Herrn H. seien zeitlich nicht zusammengefallen. Und: „Von mir aus hätte ich ihn nicht geküßt.“ Aber auch sie hat nicht „widerstrebt“, wie der Richter erfragt.

Der Prozeß wird fortgesetzt.

ede