: Erstes Geständnis im Fall Dolgenbrodt
■ Staatsanwaltschaft: Flüchtlingsheim von Dorfbewohnern abgefackelt
Berlin (taz) – Die Staatsanwaltschaft in Frankfurt (Oder) gab gestern erste Erfolge ihrer neuen Ermittlungen im „Fall Dolgenbrodt“ bekannt. Vor dem Haftrichter habe der festgenommene Marco S. gestanden, in der Garage seines Vaters die Molotowcocktails gebastelt zu haben, mit denen in der Nacht zum 1. November 1992 ein bezugsfertiges Asylbewerberheim abgebrannt worden war. Damit sei einer der Täter gefaßt, teilte Staatsanwältin Marx gestern der taz mit. Marco S. habe außerdem den Blumenhändler des Ortes schwer belastet. Dieser habe den Tätern zunächst 2.000 Mark als „Prämie“ gezahlt.
Dolgenbrodt, etwa 50 Kilometer südlich von Berlin gelegen, geriet mit diesem Fall vor fünf Jahren als äusländerfeindlichstes Dorf der Bundesrepublik in die Schlagzeilen. Dem Feuer vorausgegangen war eine Bürgerversammlung, auf der sich die Dörfler mit haßerfüllten Worten dagegen aussprachen, Asylbewerber in ihrem Dorf willkommen zu heißen.
Bereits an jenem Abend sei davon gesprochen worden, dieses Haus abzubrennen. Später vor Gericht gab es jedoch nur ein Verfahren gegen den bekennenden Neonazi Silvio J. Das Gericht verurteilte ihn im Revisionsverfahren aufgrund von Indizien zu einer zweijährigen Haftstrafe auf Bewährung. Silvio J. hatte die Tat in beiden Prozessen nicht zugegeben.
Jetzt wird er zu einem Hauptbelastungszeugen gegen andere Dörfler. Staatsanwältin Marx sagte, J. habe in einer neuen Vernehmung die Tat gestanden. Er soll in jener Nacht mit den Mollis gezündelt haben. Die ersten beiden mit Heizöl gefüllten Flaschen seien verdampft, worauf er drei weitere geworfen habe. J. will die Tat nicht allein ausgeführt haben.
Am Morgen danach aber ist er zu dem inzwischen inhaftierten Floristen O. gegangen, der ihm 2.000 Mark in die Hand drückte. Doch Silvio J. bekam den Hals nicht voll. Während seiner beiden Prozesse soll er den Blumenhändler unter Druck gesetzt und Schweigegelder verlangt haben. Am Ende kamen gut 10.000 Mark zusammen. J., der sich als Bauunternehmer versucht, ließ nun seine Geldquelle hochgehen.
Silvio J. hat in einem neuen Verfahren nichts zu befürchten: In der Bundesrepublik kann niemand wegen des gleichen Deliktes zweimal verurteilt werden. roga
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