■ Querspalte: Über die Pressefreiheit
Alle Geißeln der 70er Jahre muß man in den 90ern noch einmal durchstehen: Plateausohlen, Grinsekiffgesichter und den morgendlichen Überfall durch den Staat. Vergangenen Donnerstag störten sieben Beamte des Staatsschutzes im Auftrag der Bundesanwaltschaft die Arbeit in der Tageszeitung junge Welt: Mit der Begründung, der Redakteur Wolf-Dieter Vogel habe mit der illegalen Zeitschrift radikal zu tun, durchwühlten sie dessen Arbeitsplatz. Ihr Versuch, die Festplatte von Vogels Computer zu kopieren, scheiterte an der steinzeitlichen Produktionstechnik der jW: Fünf-Zoll-Disketten hatten die modern ausgerüsteten Polizisten nicht im Gepäck und nahmen deshalb gleich den ganzen Computer mit.
Gegen diesen Angriff auf die Freiheit der Presse zu protestieren, ist Pflichtprogramm für jeden Kollegen; entsprechend wird auch im Berufsjargon scharf zurückgewiesen und alles. Das Gefühl von Popeligkeit aber will nicht weichen bei der Verteidigung einer Freiheit, die allein in der Beschwörung ihrer selbst existiert: Der redaktionelle Teil von Zeitungen ist das Zeug zwischen den Anzeigen, und als radikal, kritisch usw. geben sich Blätter aus, die keine Anzeigen akquirieren können. Die junge Welt z.B. gerät über ihre täglich geäußerte Behauptung, nicht zur freiwillig gleichgeschalteten Presse zu gehören, derart aus dem Häuschen, daß ansonsten nicht mehr viel drinsteht. Und so kriegte sich die jW vor Eigenlob auch kaum mehr ein nach der Staatsattacke, und die Beschreibungen des Redakteurs Vogel lesen sich wie Nachrufe auf einen Märtyrer, nach dem man offenbar Bedarf hat.
Wie das klandestine radikal-Milieu, in dem das Kopfmäßige nichts gilt und der konspirative Gestus alles, das den Staatsschutz braucht zur Bestätigung der eigenen angeblichen Gefährlichkeit, so braucht auch der Staatsschutz ein paar Indianer spielende Angeber, die sich revolutionär vorkommen. Gäbe es eine Pressefreiheit, man könnte luzide Artikel lesen über die Hand-in-Hand-Arbeit von Staatsschützern und Struppis. Wiglaf Droste
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