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Opfer angeklagt

■ Verletzter Flora-Demonstrant wegen versuchter Körperverletzung vor Gericht

Erst verprügelt, dann verurteilt? Vor dem Hamburger Amtsgericht beginnt heute der Prozeß gegen den 27jährigen Studenten Claus S., der am 16. Juni 1995 vor der Roten Flora von der Polizei erst verletzt und anschließend festgenommen wurde. Der Einsatzzug Mitte hatte an diesem Tag eine spontane Kundgebung zur bundesweiten Razzia gegen „gewaltbereite Linksextremisten“ vom 13. Juni per Schlagstockeinsatz aufgelöst. Zahlreiche DemonstrantInnen waren dabei teilweise schwer verletzt worden.

Während die Ermittlungen gegen die Polizeischläger trotz eindeutiger ZeugInnenaussagen noch nicht abgeschlossen sind, muß sich nun das erste Polizeiopfer wegen Landfriedensbruch und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte verantworten. Claus S. wird zudem vorgeworfen, einen Polizisten getreten und geschlagen zu haben – der blieb allerdings unverletzt.

Die Staatsanwaltschaft beruft sich bei ihrer Anklage auf die Aussagen des Polizeiobermeisters K. Der Beamte will beobachtet haben, wie der Angeklagte auf den Polizisten V. einschlug. Daraufhin habe er Claus S. bis zu dessen Festnahme nicht aus den Augen gelassen. Der Beschuldigte hat hingegen die Aussage verweigert.

Daß gegen den 27jährigen von der Polizei ohne Vorwarnung aus nächster Nähe Tränengas eingesetzt wurde und er anschließend mit Schlagstock-Hieben auf den ungeschützten Kopf verletzt wurde, ist hingegen kein Thema der heutigen Verhandlung. Auch nicht die Aussage von Claus S., ihm sei – wehrlos am Boden liegend – der Arm so massiv verdreht worden, daß er eine schwere Ellenbogengelenkzerrung davontrug.

Ob gegen die beteiligten – zum Teil namentlich bekannten – Beamten Anklage wegen Körperverletzung im Dienst erhoben wird, sei vom Ausgang der Prozesse gegen Claus S. und einen anderen beschuldigten Demonstranten abhängig, teilte Oberstaatsanwalt Rüdiger Bagger mit. Marco Carini

Kundgebung zum Prozeß: 11.30 Uhr vor der Roten Flora, 12 Uhr vorm Strafjustizgebäude. Um 19 Uhr findet eine Veranstaltung zum Verfahren in der Stadtteiletage (Bartelsstraße) statt.

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