: Von Jugendbande bedroht: Selbstmord
■ Hamburger Polizei zerschlug zwei Jugendbanden, nachdem sich ein Junge das Leben genommen hatte. Er und andere Opfer waren immer wieder erpreßt worden
Hamburg (taz) – Bei der Geldübergabe schlugen die Ermittler zu. Ein 13jähriger Junge aus dem Hamburger Arbeiterstadtteil Wilhelmsburg hatte seiner Mutter anvertraut, daß er von einer Jugendgang „abgezogen“ und zu immer neuen Geldzahlungen erpreßt werde. Die Mutter schaltete die Polizei ein, die Beamten legten sich auf die Lauer und nahmen schließlich fünf Jugendliche im Alter zwischen zwölf und 15 Jahren fest. Die Festnahme am Donnerstag nachmittag war der zweite Schlag gegen Hamburger Jugendgangs innerhalb weniger Stunden. Zuvor hatte die Polizei sieben junge Männer festgenommen, die den Stadtteil Neuwiedenthal unsicher gemacht haben sollen. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, seit 1995 Jugendliche aus dem Stadtteil erpreßt und ausgeraubt zu haben.
Der Festnahme war ein tragischer Selbstmord vorausgegangen: Der 17jährige Neuwiedenthaler Mirco Sch. hatte sich am 31.Januar das Leben genommen, weil er sich nach einem Jahr massiver Bedrohung durch gleichaltrige Jugendliche dem Druck nicht mehr gewachsen fühlte. In einem Abschiedsbrief hatte der Kfz-Lehrling berichtet, daß er nicht mehr weiter wußte, weil er „einem Typen“ 750 Mark zahlen sollte. Nachdem ein Zeuge den Ermittlern Namen von Tatverdächtigen nannte, die ihm als Gewalttäter bekannt waren, hatten weitere 20 Opfer der Bande ausgepackt. Nach den bisherigen Ermittlungen nahmen die Täter den Jugendlichen Walkmen, Kleidung und Geldbeträge ab. Einzelne Erpressungsopfer berichteten, etwa dreißigmal „abgezogen“ worden zu sein und im Laufe der Zeit mindestens 500 Mark gezahlt zu haben.
„Die Gewaltbereitschaft unter den Jugendlichen nimmt immer mehr zu“, klagt Wolfgang Dürre, Leiter der Abteilung für Kriminalitätsvorbeugung des Hamburger Landeskriminalamts Hamburg. In der Hansestadt seien „immer mehr junge Straftäter mit Messern, Knüppeln oder Schußwaffen bewaffnet“. Sorge bereitet dem Beamten vor allem der hohe Anteil der unter 21jährigen unter den Tatverdächtigen bei Gewaltdelikten. Dieser sei in den letzten zehn Jahren um 40 Prozent gestiegen.
Trotz der aktuellen Vorfälle warnte der Hamburger Jugendrichter Joachim Katz gestern vor „dem populistischen Ruf nach härteren Strafen“ für jugendliche Gewalttäter. „Mehr Mittel für die Straßensozialarbeit und mehr Treffpunkte für Jugendliche“ forderte die Neuwiedenthaler Pastorin Susanne Lindenlaub-Borck. Denn die beiden Stadtteile, in denen die Jugendgangs aktiv waren, haben eines gemeinsam: Sie gehören zu den Schmuddelgettos der reichsten Stadt Europas, mit weit überdurchschnittlichem Anteil an Arbeitslosen und Sozialhilfeempfängern. Marco Carini
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