piwik no script img

George Orwell im Foschungsministerium

■ CDU-Chef und Staatssekretär Bernd Neumann findet Kinder mit Peilsendern unter der Haut „interessant“ und sorgte damit auch in Bremen für ein wenig Rosenmontags-Stimmung

Ein Faschingsscherz? Der Anruf beim Bundesforschungsministerium (BMFT) erbrachte nur die gutgelaunte Auskunft: „Heute is' doch Rosenmondach!“ Zur Wochenend-Idee des Medienbeauftragten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Hans-Otto Wilhelm – Kindern zum Schutz vor Verbrechen Peilsender in Kleidungsstücken, Schulbüchern, Schmuckstücken oder gar unter die Haut einzubauen – und der dem Vorschlag zugeneigten Reaktion des Bremer CDU-Chefs Bernd Neumann, war gestern in dessen Bonner Diensthaus außer Karnevalstaumel keine Stellungnahme zu bekommen.

Staatssekretär Neumann hatte öffentlich mitgeteilt, er wolle Wilhelms Vorschlag von seinen Fachleuten im Forschungsministerium prüfen lassen. Dies sei dem BMFT durchaus zuzutrauen, sagte dazu Wolfgang Benecke. Benecke weiß einzuschätzen, wie weit der Innovationsdrang des BMFT gehen kann. Der Physiker – Leiter des Instituts für Mikrosensoren, -aktuatoren und -systeme an der Bremer Uni – entwickelt zur Zeit einen Mikrochip, der in den Kopf implantiert den Hirndruck messen soll. Auch dieses ein BMFT-Projekt. „Es ist den Bonnern also durchaus zuzutrauen, daß sie einen Expertenrat einberufen“, so Benecke. Ob sie dort allerdings bis zu einer Machbarkeitsstudie gehen, wagte er dann doch zu bezweifeln.

Mikroelektronik-Experte Benecke mochte zunächst klarstellen, daß er das Thema im Grunde absurd fände, dann ließ er sich doch noch abringen, daß die Anti-Entführungs-Sender rein technisch perfekt machbar wären. Man setzt Antennen unter die Hautoberfläche, diese strahlen nach außen. „Doch dann stellt sich schon die Frage, wie man die Energieversorgung hinbekommt. Pflanzt man Batterien mit ein?“ Werden unendliche viele Sender in der Landschaft aufgestellt oder soll von dem betroffenen Kind aus so stark gesendet werden, daß es auch von weit her geortet werden kann? „Zu schrill“, gab Wolfgang Benecke bei dem Gedanken an die praktische Umsetzung auf.

Ad hoc warf gestern zu dem Thema auch Stefan Luft, Sprecher der Bremer Innenbehörde, das Handtuch. „Von uns aus gibt es keinen Bedarf, hier aufzuspringen.“ Es handele sich um ein privates Ding, das nur Eltern etwas angehe. Man könne ja auch nach Belieben seinem Dackel einen Peilsender um den Hals hängen.

„Ich finde das toll, wir wären das Problem entflohener Häftlinge los“, entgegnete indes der Leiter der Inspektion für Kapitaldelikte, Peter Wetzke. So jedoch nur im Affekt. Wetzke wurde wieder ernst und erwähnte Datenschutz, die einzukalkulierende Intelligenz möglicher Entführer und die Frage, wie man den Einbau der Peilsender auf möglicherweise tendenziell gefährdeten Kinder beschränken solle. „Ich unterstelle mal, daß die Menschen, die solche Ideen haben oder aufgreifen, das gut meinen“, so Wetzke. „Ich sage aber auch, daß das ein Schnellschuß ist. Das ist wie bei George Orwell und ethisch nicht vertretbar.“

Aber eigentlich sei der Schutz für die Kinder ja doch ein Präventionsthema und habe ergo bei der Polizei nichts zu suchen, hängt Wetzke noch an. Man müsse versuchen, den Kindern aus der Opferhaltung herauszuhelfen. Entsprechend hat auch bereits der Deutsche Kinderschutzbund reagiert.

Die Firma Levis dagegen designt bereits die neue Peiljeans. Hier könnten wir es allerdings mit einem Faschingsscherz zu tun haben. sip

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen