: Schuld und Sühne in Ruanda
Froduald Karamira war 1994 ein Planer des ruandischen Völkermords. Nun droht ihm die Todesstrafe. Er hält sich für unschuldig, hofft aber, daß sein Tod zur Versöhnung beiträgt ■ Aus Kigali Andrea König
Die Meinung ist einhellig: Froduald Karamira verdient die Todesstrafe. Die Ruander, die vor dem Erstinstanzgericht der Präfektur Kigali-Stadt versammelt sind, finden zum Teil nicht einmal Worte für seine Taten. Eine Frau sagt: „Es ist unbeschreiblich, was dieser Mann getan hat; und er wohnte nicht einmal sehr weit von uns weg. Er hat die Massen gegen uns aufgehetzt.“ Die Frau hat 1994 den Völkermord in Ruanda mit einem ihrer vier Kinder überlebt; ihr Mann und drei Kinder wurden von Milizionären umgebracht.
Karamira ist der bisher höchstrangige Angeklagte bei Ruandas Völkermordprozessen. Er gehört zu jenen Ruandern, die als Tutsi geboren wurden, sich dann aber formell zu Hutu umwandeln ließen – denn während der Herrschaft des Hutu-Präsidenten Habyarimanas, dessen Ermordung im April 1994 die Massaker an Tutsi auslösten, war die ethnische Zugehörigkeit häufig ausschlaggebend für Erfolg und sozialen Aufstieg. Karamira war ein erfolgreicher Geschäftsmann aus Gitarama, der politische Kontakte zu allen Seiten unterhielt. „Das ist nichts Ungewöhnliches, denn man mußte sich absichern, wollte man erfolgreich sein“, erklärt ein ehemaliger ruandischer Politiker.
Karamira war bei der Einführung des Mehrparteiensystems 1990 Mitbegründer der MDR (Republikanisch-Demokratische Bewegung), einer gemäßigten Oppositionspartei, und kam dafür auch ins Gefängnis. Er wurde aus der Haft entlassen, nicht aber sein Sohn. Den befreite die heute regierenden Tutsi-Guerilla RPF (Ruandische Patriotische Front) aus dem Gefängnis; daraufhin setzte er sich ins Ausland ab. Karamira avancierte zum zweiten Vizepräsidenten der MDR. Als die Regierung Habyarimana im August 1993 mit der RPF einen Friedensvertrag unterzeichnete, spaltete sich die MDR in einen gemäßigten und einen radikalen Flügel; letzterer lehnte jeden Kompromiß mit der RPF ab. Als im Oktober im benachbarten Burundi der eben erst gewählte Hutu-Präsident Melchior Ndadaye von Tutsi-Soldaten ermordet wurde, hatten die Hutu- Extremisten in Ruanda die nötigen und schlagenden Argumente: Jetzt gehe es auch in Ruanda ums Überleben der Hutu. Karamira wurde zum Kopf des militanten MDR- Flügels MDR-Power.
An Karamiras Rolle bei Beginn der Massaker im April 1994 erinnert sich ein ruandischer Journalist mit Schaudern: „Er besuchte beinahe täglich die Straßensperren in Kigali und abends gab er übers Radio bekannt, wo gut gearbeitet wurde. Karamira gehört wirklich zu den großen Schuldigen.“ Täglich rief er über „Radio Ruanda“ und den berüchtigten Piratensender „Mille Collines“ zur Ausrottung der Tutsi auf. Er soll eine Hauptfigur in der „Interahamwe“- Miliz gewesen sein.
Heute fühlt sich Karamira, der Ruanda nach dem Völkermord verließ und schließlich aus Äthiopien ausgeliefert wurde, nicht schuldig. In einem Rundfunkgespräch Ende Januar sagte er, es habe in Ruanda keinen Genozid gegeben, denn es seien schließlich auch Hutu umgebracht worden. Folglich plädierte Karamira, als er am 14. Januar zum ersten Mal wegen Völkermords und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor Gericht stand, auf „nicht schuldig“. „Aber“, so der ruandische Journalist, „es hat mich dennoch berührt, als sich Karamira am Schluß der Verhandlung bei den Opfern des ,Krieges‘ – er redete nie vom Genozid – entschuldigte. Ich hatte den Eindruck, er meine es ernst.“
Karamira hat einen fairen Prozeß gehabt
Unter Beobachtern in Ruanda wird eifrig darüber diskutiert, ob die seit Ende 1996 laufenden Völkermordprozesse wirklich zur Versöhnung beitragen. Die ersten Prozesse, findet auch das UN-Menschenrechtsbüro, hinterließen zwiespältige Gefühle. Weder hätten die Angeklagten Anwälte zu ihrer Verteidigung gehabt noch seien Zeugen vorgeladen worden.
Anders präsentiert sich der Fall Karamira. Hier sind sich die Beobachter einig: Der Prozeß gegen Karamira war einer der fairsten bisher. Der Angeklagte konnte auf die Unterstützung eines Anwalts aus Benin zählen, und in seinem Prozeß traten Zeugen auf.
Beides ist nicht selbstverständlich. Das Spezialgesetz, auf dessen Grundlage die Völkermordprozesse geführt worden, sieht wie das gesamte ruandische Strafrecht das Recht auf Verteidigung vor, nicht aber das auf Pflichtverteidigung – das macht es möglich, daß manche Angeklagte sich selbst verteidigen müssen. Außerdem müssen Zeugen nicht notwendigerweise im Zeugenstand aussagen; ihre Aussagen können summarisch verlesen werden, wenn der Angeklagte nicht ausdrücklich vor der Hauptverhandlung die Zeugenvernehmung verlangt. Das schien die rund dreißig internationalen Experten, die bei der Ausarbeitung dieses Gesetzes behilflich waren, nicht gestört zu haben. Laut Aussagen eines Diplomaten in Kigali wurde das Genozid-Gesetz allgemein gelobt. Keinem schien aufzufallen, daß gemäß internationalen Menschenrechtskonventionen Angeklagte, die mit der Todesstrafe bestraft werden können, das Recht auf einen Pflichtverteidiger haben.
Eine Welle der Kritik ist somit seit Beginn der Prozesse über Ruandas Regierung in Kigali eingebrochen: Es handle sich um Schauprozesse, um Siegerjustiz. Eine Juristin, die die Prozesse beobachtet, sagt dazu: „Ich verstehe nicht recht, weshalb heute die ganze Welt aufschreit. Nicht die Regierung an sich ist schlecht. Rein legal behandelt sie die génocidaires nicht anders als gewöhnliche Mörder. Das Gesetz ist schlecht.“
Außerdem steht Ruandas Justiz vor enormen Problemen. Rund 90.000 Untersuchungshäftlinge warten auf ihren Prozeß. Immer wieder werden Ermittler umgebracht. Weil die meisten voll ausgebildeten Juristen beim Völkermord umgebracht wurden, müssen jetzt Richter Recht sprechen, die zum Teil lediglich 450 Ausbildungsstunden absolviert haben.
Gleichzeitig ist die Erwartung aus der Bevölkerung enorm. Die Überlebenden des Völkermordes wollen die Täter tot sehen und wollen entschädigt werden. Die juristische Beobachterin: „In Kigali verlaufen die Prozesse mehr oder weniger diszipliniert. In der Provinz sind Todesurteile richtiggehende Freudenfeste.“
Die belgische Organisation „Anwälte ohne Grenzen“, seit Dezember in Ruanda präsent, organisiert nun in Zusammenarbeit mit Ruandas Justizministerium wenigstens die Pflichtverteidigung für Angeklagte in den Völkermordprozessen. So kam auch Karamira zu seinem Anwalt aus Benin. Am 1. Februar plädierte die Staatsanwaltschaft auf Todesstrafe. Die Urteilsverkündigung, zunächst für den 10. Februar angesagt, wurde verschoben und soll nun am Freitag stattfinden – was aber angesichts der zunehmenden Unsicherheit in Ruanda auch fraglich erscheint. Zum Verhandlungsende erklärte Karamira: Sollte er zum Tode verurteilt werden, hoffe er, daß sein Tod zur Versöhnung in Ruanda beitragen werde.
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