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Keine Gnade für die Kinderstuben

■ Bezirkshaushalte vom Abgeordnetenhaus gestutzt. Kinderreiche Ostbezirke müssen Jugendetats eindampfen

Der Hauptausschuß des Abgeordnetenhauses hat gestern die Bezirkshaushalte verabschiedet. Mehrere Bezirke wurden wegen ihrer Abweichungen von den Vorgaben unter finanzielle Kuratel gestellt: Steglitz, Spandau, Treptow, Prenzlauer Berg, Mitte und die drei Teilstädte im Nordosten – Marzahn, Hellersdorf, Hohenschönhausen – dürfen nur gesetzlich unabweisbare Leistungen bezahlen. Besonders hart erwischte es die drei Nordostbezirke, bei denen die CDU/SPD-Koalition eine Ausgabensperre verhängte. Die Kinderstuben der Stadt mit ihren 120.000 Jugendlichen und Kindern hatten in den Etatentwürfen übereinstimmend erhöhte Ansätze für Lernmittel, Schulbau und Jugendfreizeit eingesetzt. Marzahn, Hellersdorf und Hohenschönhausen müssen die betreffenden Titel nun zurückfahren.

Der Hellerdorfer Bezirksbürgermeister Uwe Klett (PDS) wird sich dem verweigern. „Mit meiner Unterschrift wird es nicht zu Absenkungen in den Jugend- und Sozialetats kommen“, kündigte Klett an. Wenn die Koalition dies durchsetzen wolle, könne sie sich ansehen, was in Hohenschönhausen in den nächsten Wochen los sein werde. „Wer nimmt Drohungen schon ernst – vor allem die eines Bezirksbürgermeisters“, entgegnete der Ausschußvorsitzende Klaus Franke (CDU) unter dem Gelächter seiner KollegInnen. Die Atmosphäre im Hauptausschuß war durchgehend von dem patriarchalischen Gestus der Abgeordneten geprägt. Bezirksbürgermeister und Finanzstadträte mußten sich wie Schulkinder behandeln lassen.

Die Bezirksparlamente hatten ihre diesjährigen Etatansätze im Schnellverfahren verabschieden müssen. Die letzten Vorgaben aus der Finanzverwaltung waren erst Mitte Januar eingetroffen. Die Bezirke legten allesamt ausgeglichene Etats vor. Um die drastischen Sparvorgaben (954 Millionen gegenüber der Basissumme) einzuhalten, wiesen sie „pauschale Minderausgaben“ aus oder setzten – wie das Land – auf den Verkauf von Tafelsilber. Unklar aber bleibt, ob die Bezirke diese Verkäufe auch realisieren können.

Die Nordostbezirke scheiterten mit ihrem Ansinnen, für ihre extrem junge Bevölkerungsstruktur einen Mehrbedarf zu bekommen. Der Hellersdorfer Bürgermeister Klett wies darauf hin, daß er durch die gesetzlich vorgeschriebenen Leistungen gezwungen werde, den Jugend- und Sozialetat zu überschreiten.

Jeder dritte Hellersdorfer ist jünger als 18. Klett hatte im Jugendbereich 10 Millionen Mark zusätzlich beantragt. Ungeklärt sei auch, wie die Ostbezirke Zuwendungen an freie Träger aus ihrem normalen Etat bezahlen sollen, sagte Klett. Die Projekte müßten reihenweise schließen. Christian Füller

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