: Wer bestraft die Verantwortlichen?
Der stellvertretende Polizeichef von West-Mostar hat am 10. Februar selbst auf fliehende Muslime geschossen. Das bestätigt der Untersuchungsbericht der Bildt-Administration ■ Aus Mostar Erich Rathfelder
Spannung lag gestern über der Stadt Mostar. Gepanzerte Fahrzeuge der Sfor-Truppen besetzten die strategisch wichtigen Punkte der Stadt. Der Grund: die Veröffentlichung des Bericht des Hohen Repräsentanten der Internationalen Gemeinschaft in Sarajevo, Carl Bildt. Der Bericht kommt zu dem Ergebnis, daß kroatische Polizisten auf muslimische Besucher eines Friedhofs geschossen haben. Bei dem Vorfall am 10. Februar 1997 war ein 66jähriger Mann getötet und über 20 andere Friedhofsbesucher verletzt worden, unter ihnen der Vize-Bürgermeister Mostars und das religiöse Oberhaupt der Muslime in der Stadt.
Die Beweislage ist erdrückend. Fotos und Videoaufnahmen dokumentieren, daß Polizisten in Zivil und Uniform auf die Besucher des im Westteil der Stadt liegenden Friedhofes geschossen haben, obwohl sich diese schon zur Rückkehr in den Ostteil der Stadt aufgemacht hatten. Detailliert wird sogar nachgewiesen, daß der stellvertretende Polizeichef, Ivan Hrkać, selbst auf die fliehenden Menschen geschossen hat. Und der Bericht beweist die Falschaussagen von Kroaten während der Untersuchung. „Alle West-Mostar-Polizisten in Zivil, die mit Waffen in der Hand fotografiert worden sind, erklärten bei den Befragungen durch die Internationale Polizei, daß sie zu diesem Zeitpunkt unbewaffnet gewesen seien.“
Dem Bericht zufolge hat auch der Polizeichef von West-Mostar, Marko Radić, Falschaussagen gemacht. So erklärte er, es gebe keine Spezialeinheiten unter seinem Kommando. In Wirklichkeit wurden die Spezialeinheiten der Polizei vor vier Monaten lediglich umgruppiert, obwohl die Kroaten ihre Auflösung zugesagt hatten. 90 bis 100 Mann unterständen dem Polizeichef von Mostar. Selbst seinen Stellvertreter wollte Marko Radić auf einem Foto nicht erkannt haben. Auch die Aussage der kroatischen Seite, sie sei nicht im voraus von dem Besuch der Muslime auf dem Friedhof informiert worden, hat sich als falsch herausgestellt. Ebenso wie die Behauptung, die muslimischen Besucher des Friedhofes seien bewaffnet gewesen.
In dem vom deutschen Bildt- Stellvertreter Michael Steiner unterzeichneten Dokument wird der kroatischen Seite zugesichert, weitere Untersuchungen über Zwischenfälle vor und nach dem 10. Februar anzustellen. Dazu gehören Auseinandersetzungen auf der Straße von Sarajevo nach Mostar, bei der kroatische Zivilisten wie auch Bosniaken verletzt worden waren. Ferner die Attacken auf das Franziskanerkloster in Sarajevo vom 20. Februar. Die kroatische Seite beschuldigt die bosniakische, für diese Vorfälle verantwortlich zu sein. An dieser Version wurden jedoch von den Mönchen selbst Zweifel angemeldet. Unterdessen wurde in West-Mostar erklärt, sechs kroatische Polizisten seinen vom Dienst suspendiert und 11 Zivilisten verhaftet worden. Allerdings wurden die Namen der Polizisten nicht genannt. Zu den Verhafteten sollen sechs Muslime gehören, die bisher in West-Mostar lebten.
In keinem Land der Welt bliebe es wohl ohne Konsequenzen, wenn Polizisten nachweislich auf Bürger schießen würden, erklärten Offizielle der Bildt-Administration. Dennoch bezweifeln sie, daß die Polizei in West-Mostar tatsächlich gesäubert und die Verantwortlichen für die Schüsse vom 10. Februar bestraft werden. Obwohl Spitzenpolitiker der bosnischen Kroaten, unter ihnen der Präsident der Föderation, Kresimir Zubak, sich vor der Untersuchung damit einverstanden erklärt hatten, die Ergebnisse des Berichtes zu akzeptieren und umzusetzen, ist der stellvertretende Polizeichef als Schütze bislang nicht verhaftet worden.
Auch wurde die kroatische Öffentlichkeit durch die eigenen Medien über den Bericht bislang nicht informiert. So glauben viele kroatische Bewohner der Stadt, die internationale Gemeinschaft unternähme eine antikroatische Kampagne. Die Föderation steht in der größten Krise seit ihrer Gründung im Frühjahr 1994.
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